Fortdance Festival 2007
Sankt Petersburg rockte inmitten der Ostsee, in einer historischen Festung nur einen Steinwurf vom Kronstadt-Areal entfernt: das Fort Zar Alexander I – die Bühne von Fortdance. Fortdance ist ein Festival, dass die Welt der elektronischen Musik im Sturm eroberte und trotz der Nähe für viele Mitteleuropäer dennoch irgendwie fern und damit exotisch scheint. So, oder so ähnlich fangen alle Pressetexte an. Nach dem letzten Wochenende ist jedoch klar, warum Fortdance wirklich Russlands Vorzeige-Festival Nummer 1 ist. Das Festival war eine außergewöhnliche Erfahrung, kam doch eine international eingestellte, herzliche und gastfreundliche russische Crowd zusammen, die nur eines im Sinne hatte: zu guter Musik eine richtig gute Zeit zu haben.
Im letzten Jahr rockten die Jungs von Deep Dish die altehrwürdigen Mauern des Forts zu Ehren von Alexander dem Ersten nahe Sankt Petersburg (-> Tipps, Reisebericht & Sehenswürdigkeiten). Unvergessen sind die Bilder eines hinter den Decks tanzenden und rockenden Sharam. Selten gibt es Parties, wo der Funke zwischen Künstler und Crowd derart schnell überspringt und sich dann in einem intensiven gegenseitigem Geben und Nehmen die ganze Nacht über reproduziert, sogar hochschaukelt. Begrenzt wird das Ganze lediglich durch die Set-Zeiten.
In diesem Jahr organisierte die Truppe um Yury Marychev und Yulia Mochalova wieder ein unvergleichliches Line-Up, das neben typischem US House und treibendem Progressive auch locker leichtes Trance, sowie mentales Minimal und schiebenden Techno anbot.
Neben dem argentinischen Progressive-Schwergewicht Hernan Cattaneo schickte sich Trance-Ikone Armin van Buuren an, die russische Partycrowd ordentlich zum kochen zu bringen. Ein weiteres Highlight waren drei Live-Acts. Zum einen von Anton Kubikov & Maxim Milutenko, besser bekannt als SCSI-9, die erst kürzlich mit ihrem Album History Part I für Furore sorgten. Zum anderen vom derzeit mehr als top performendem Gui Boratto, dessen Chromophobia Album wie eine Bombe einschlug. Dritter im Bunde waren die Hamburger Moonbootica-Jungs, die uns Berlinern der Gigs im Watergate wegen noch in sehr guter Erinnerung sind. Und nicht zuletzt wagten US DJ-Größe Roger Sanchez, BCCs Annie Mac sowie Rex The Dog Ihren ganz persönlichen Blick hinter den schon längst gefallenen Eisernen Vorhang. Gerahmt wurde diese bunte internationale Truppe von (natürlich) russischen Lokalmatadoren wie z.B. Spy.Der, Alexander Nuschdin, DJ Grad, Mike Spirit, Dimitrii Bobrov und der Promo-DJ Gewinnerin Eva Flame.
Die Festung liegt ca. 1 Stunde von St. Petersburg entfernt, südlich des Khronstadt Areals mitten im Finnischen Meerbusen. Angesagt waren 12 Stunden feinster elektronischer Musik, beginnend um 9, endend um 9 (in der Früh). Betritt man das Innere der Festung, so werden schlagartig Erinnerungen an den Innenhof des Berliner E-Werks wach. Die steilen runden Mauern des Forts rufen einem die runden Konturen der Schaltwarte ins Gedächtnis. Links und rechts des Mainfloors sind die Aufgänge zu den anderen Floors zu finden. Die uralten stählernen Treppenhäuser wurden wieder liebevoll illuminiert, während draußen die Laser-Action tobte.
Gegen 0:00 war es Zeit für den ersten großen Auftritt des Abends. Tobi & Oli von Moonbootica säten mit „German Techno Power, I love that so much!“ den Nährboden für einen tobenden Mainfloor aus. Eine Stunde später war dann Hernan an der Reihe. Es dauerte keine 5 Minuten und kein Bein stand mehr still. Cattaneos Mixtur war in jener Nacht die seinerseits voll durchdeklinierte Welt der elektronischen Musik. Sein wohl bevorzugtestes Mittel waren jene Tribalgrooves, die auch schon Anthony Pappas DJ-Sets so unvergesslich machen. Der finale Paukenschlag war irgendein (noch?) unbekannter Remix auf Bedrocks „Heaven Scent“; ein Tune, dass nicht einmal mehr die Securityleute hat cool dastehen lassen.
Zwei Stunden später übernahm der Holländer Armin van Buuren die Decks. Er genoss es sichtlich die Bühne zu erklimmen, wurde er doch wie einst Willy Brandt in der DDR empfangen, nur halt durch „Armin! Armin!“ statt durch „Willy! Willy!“ Sprechchöre. Van Buuren packte auf das argentinische Feuer noch einmal einen drauf und ließ sowohl schnellere Beats, als auch Tranceflächen sprechen.
Während dessen lieferten die Jungs von SCSI-9 auf dem Technofloor ihren Live Act ab. Das Interesse an den beiden ist groß; zuvor waren Anton und Maxim im Backstagebereich der Presse vorgestellt, sowie belagert, als auch ausgefragt worden. Dem entsprechend fanden sich viele ihrer Landsleute ein, um der Live-Darbietung ihrer Minimalhelden zu lauschen. Der Live Act war ein dramaturgisches Meisterwerk und begann mit langsam rollenden Bässen von ganz tief unten kommend. Über 1,5 Stunden schickten Kubikov & Milutenko ihre Fans auf eine Soundreise, wie sie selbst für minimale Verhältnisse nicht hätte abwechslungsreicher sein können. Abgerundet wurde das Ganze durch live gespielte E-Gitarre und den sinnlichen Vocals von Katja.
Wesentlich wilder wurde es danach, als Rex The Dog die Regler übernahm – ebenfalls live. Der von Kraftwerk inspirierte Ian lies keine Möglichkeit aus auch trivialere Musik mit in seinen rotzig frechen Elektrosound einfließen zu lassen.
Um jedoch 5:00 Uhr drohte der Technofloor zu platzen… Der bereits schon auf der großen Pressekonferenz vorgestellte Gui Boratto startete seine Maschinen und schickte sich an, für die nächste Stunde die Regie zu übernehmen. „The people in Russia love you, Gui!“ – so der O-Ton von DJ Grad, und er sollte Recht behalten. Die musikalischen Liebesgrüße, diesmal aus Sankt Petersburg, flogen dem Pfundskerl aus Sao Paulo nur so entgegen. Gui Boratto ist einer der wenigen Leute im Music-Biz, den man ohne Bedenken seiner Mutter vorstellen würde.
Tja, und dann war die Nacht der Nächte auch schon wieder vorbei. Acts wie Roger Sanchez oder Annie Mac zu verpassen, ist bei einem derartig vielfältigen Angebot leider „kein Problem“. In den Morgenstunden genossen viele Menschen den Blick vom Fort in den Sonnenaufgang, der die vergoldeten Dächer des am Horizont sehr entfernt liegenden Sankt Petersburg aufblitzen lies.
Mein persönlicher Dank für eine gute Zeit und für Eure Gastfreundschaft gehen an: Yury, Yulia, Denn, Alena, Irina und natürlich Kirill. Gui, Du bist die Bombe schlechthin :-) Grüße an Rupert, Tom & Jamie, Maria, Victor, Mischa, Lena, Lilia, Katja und Martin.
Verwendete Fototechnik: Canon EOS 1D Mark III, Canon EF 24-70 2.8L, Canon EF 50 1.4, Canon EF 85 1.2L, Sigma EX 12-24