Lavawüsten und ewiges Eis – Der Südosten Islands

Östlich von Vik scheinen die Straßen endlos zu werden. Die üppigen mit Lupinen übersäten Wiesen gehen teilweise sehr abrupt in eine bis zum Horizont reichende Wüste schwarzen Sandes über. Die Ringstraße wird dann mehr und mehr von einspurigen Brücken unterbrochen, die die Priele und glazialen Abflussrinnen der Mýrdals- und Skeiðarársandur Ebenen überspannen. Am Ende dieses Tunnels kommt ein wahrer Star Islands in Sicht: die Gletscherlagune Jökulsárlón. Filmkulisse für James Bond, Batman und Tomb Raider.

Bevor es jedoch eisig wird, muss man unbedingt vorher in das Mikroklima des Skaftafell Nationalparks eintauchen, der seit seiner Gründung 1967 bereits dreimal vergrößert worden ist. Neben wunderschönen Wanderwegen in üppigster Natur, ist der Nationalpark vor allem wegen eines ganz speziellen Wasserfalls bekannt. Es „fösselt“ mal wieder und diesmal in schwarz, was auch die Namenswurzel des pittoresken Svartifoss ist. Man muss schon ein wenig klettern um dieses von schwarzen, orgelpfeifenartig herab hängenden Basaltsäulen umrahmte Wasserspiel genießen zu können. Das Waldstück vor dem Svartifoss hat einen ganz eigenen, fast schon lakritzartigen Geruch, ohne das man auch nur eine Blüte entdeckt.

Hat man den 1,5km langen Wanderweg gemeistert, steht man zwar vor einem kleinen aber dennoch sehr geräuschvollen ca. 10 Meter hohen Wasserfall. Der wunderschöne Anblick dieses Kleinods lies mich die Schuhe ausziehen, die Hose hochkrempeln und in den Bach steigen. Das klare Wasser kommt gar nicht so kalt angerauscht wie es im ersten Moment den Anschein hat. Man kann bedenkenlos aus dem Wasserfall trinken. Eigentlich kann man aus den meisten Quellen Islands trinken. Die sind zwar mehr oder weniger auch alle schwefelhaltig, was man nicht zuletzt am Geruch merkt, giftig ist in Wasser gelöster Schwefel aber nicht. Zu viele Sulfate resultieren im Ernstfall „lediglich“ in mehr oder weniger starken Durchfall(-attacken). Bei meiner Attacke war ich mir aber nicht ganz sicher, ob das nicht vom Hákarl her rührte… :-)

Östlich vom Skaftafell Nationalpark geht eine kleine schotterne Stichstrasse von der Ringstraße 1 ab und man erreicht den ersten Gletschersee der Region, den am Fjallsjökull gelegenen Breiðárlón. Der See an sich hat nicht viele Eisberge zu bieten und durch das glaziale Sediment ist das Wasser und auch das Eis teilweise sehr dreckig. Viel interessanter ist es den Gletscher selbst ein wenig zu erkunden. Ohne Guide, bzw. ohne Erfahrung sollte man davon allerdings die Finger lassen. Angetaute Gletscherspalten sind oft nur von einer dünnen Schicht Eis bedeckt, die dem Gewicht eines Menschen nicht standhält. Die darunter liegende Spalte aber ist ganz sicher nicht klein und im Inneren zu 100% arktisch kalt. Wer möchte schon als Ötzi enden…

Die spektakuläre Jökulsárlón Lagune ist mit bis zu 160 Metern Tiefe gleichzeitig Islands dritttiefster See. Hier kalbt der Breiðamerkurjökull, eine Zunge des riesigen Vatnajökull, und es werden teilweise bis zu 10 Meter hohe Eisberge geboren. Wohlgemerkt bis zu 10 Meter, die man über der Wasseroberfläche zu sehen bekommt, denn die restlichen 90 Prozent der Masse findet man ja bekanntermaßen unter der Wasseroberfläche.

Islands tiefster Punkt wird mit 0 Metern, also dem Meeresspiegel des Ozeans angegeben. Das ist nicht ganz korrekt, da ja bereits der auf Meeresniveau liegende Jökulsárlón in Sachen Tiefe die 0 um 160 Meter schlägt. Unter dem Vatnajökull liegt allerdings eine Senke, deren Ausmaße von den Geologen aus Reykjavik mit der Tiefe des Toten Meeres (ca. 400m) verglichen wird. Stellt man sich vor, dass darüber mindestens 1 Kilometer Eis thront, dann hat man schone eine vage Vorstellung unter welch biblischem Durch die riesigen gefrorenen Wassermassen stehen.

Der letzte Ausbruch des Grimsvötns 1996 führte die Macht dieser doch recht unscheinbaren Urgewalt noch einmal vor Augen. Der unter dem Vatnajökull liegende Vulkan schmolz Teile des ewigen Eises zu einem unterirdischen See. Irgendwann brach des riesigen Drucks wegen eine natürliche Barriere und binnen Augenblicken wurde eine Energie von bis zu unvorstellbaren 45 Millionen Liter Wasser pro Sekunde frei. 1 Liter Wasser = 1 Kilogramm Gewicht/Druck. Ein stählerner, mindestens oberschenkeldicker Brückenträger der dem Wasser damals im Weg stand ist in der Nähe des Skaftafell Nationalparks als Mahnmal aufgestellt worden. Der Träger ist deformiert wie eine billige Büroklammer.

Die Eislagune zu verpassen ist de facto unmöglich. Zum einen spannt die einzige kleine Hängebrücke weit und breit über dem maritimen Abfluss der Lagune, auf der anderen Seite stechen einem sofort die vielen parkenden Autos und das kleine Häuschen ins Auge. Beim “Mann in der gelben Weste” kann man dann seine Fahrt auf der Lagune buchen. Das ist im Groben und Ganzen eine 30-minütige Fahrt mit einem Amphibienfahrzeug und gut 10 anderen Touristen.

Wesentlich intimer und spaßiger ist allerdings der Ritt im Zodiac Schlauchboot. Gern spielt der Steuermann Titanic und rammt mit den Worten “Hey man, you look a bit like Di Caprio…!” die Eisberge. Angesichts der mystischen Abendlichtstimmung bin ich sogar froh, dass der Himmel letzten Endes bedeckt war. Die Kälte der riesigen Gletscher lässt die vom Meer transportierte Luftfeuchtigkeit oftmals am Südhang des Vatnajökull-Massivs auflaufen. Diese kompakten Wolken schicken das Sonnenlicht teilweise sogar ins Violette… Hoffentlich bleibt das ewige Eis seinem Namen treu und weicht nicht gänzlich der Idiotie des Kapitalismus.

Glaziales Eis ist sehr alt und durch den Druck des Gletschers hochkompakt, da über den Lauf der Jahrhunderte sämtliche Luftblasen rausgepresst wurden. Daher taut es wesentlich langsamer als normales Eis. Die bereits gen Ozean gespülten Eisstücke werden von der Brandung wieder an den Strand zurück geworfen, wo sie dann einen langsamen, tropfenweisen Tod erfahren. Auf dem Weg zum Strand ist übrigens Vorsicht geboten. Hier nisten Küstenseeschwalben die keine Sekunde zögern mit der Kraft der Gruppe anzugreifen. Die Flugmanöver sind das Eine, das Gezielte Abdrücken von Exkrementen ist das Andere ;-) Derart aggressiv verteidigende Seeschwalben sind mir anderswo auf Island nicht begegnet.

In der Gletscherlagune gibt es eine Vielzahl von Tieren zu beobachten. Neben den gluckernden Lauten der prächtig gefiederten Eiderentenerpel, die gerade mal wieder einem Weibchen nachstellen, sonnt sich auch mal die eine oder andere Robbe auf den Eisschollen. Nicht weit vom Jökulsárlón befindet sich ein größeres Brutgebiet von Küstenseeschwalben und auch Skuas, die grau-braunen Riesenraubmöwen sieht man relativ oft durch den Eisbergwald fliegen.

Kurz hinter Vik erwischte es mich dann… Einen Moment nicht aufgepasst, zack gingen die Blaulichter an und ich hatte ein Speeding Ticket zu bezahlen. Trotz der drakonischen 200 Euro Strafe für 20km/h über der Norm, traf ich auf einen lockeren aber bestimmten Polizisten, der fernab von der deutschen, oftmals geltungsbedürftigen Art des Polizeidienstes, mir auf sehr menschliche Weise begegnete. Island zählt nur 300.000 Einwohner. Wenn dann jeden Sommer ca. 40 Menschen bei teilweise heftigen Unfällen sterben, dann hat das schon großes Gewicht. Dabei kommt es beim Fahren nicht unbedingt auf die eigenen fahrerischen Fähigkeiten an, vielmehr gibt es in Island eine Vielzahl neuer Situationen, die einen auf heftigste überraschen können: Schwäne im Tiefflug, plötzlich aufreißende Wolken und blendende Sonne, derbe Schlaglöcher und nicht zuletzt Gegenverkehr.

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