Ostdeutschlands sowjetisches Erbe – Das mächtige Wünsdorf
6.000 Seelen Dorf contra Militärstadt mit bis zu 75.000 Soldaten – Die Sowjets wussten das südlich der Hauptstadt an der Bahnstrecke Berlin-Dresden gelegene Wünsdorf (Вюнсдорф) gut zu nutzen. Auch wenn bereits seit etlichen Jahren verlassen und komplett umzäunt, so kann der Kern des Areals, das heutige Haus der Offiziere, die frühere Heeressportschule bzw. noch frühere Kaiserliche Turnanstalt, die glücklicherweise alle Epochen und Kriege überdauerte, immer noch seine facettenreiche Geschichte erzählen.
Für DDR-Bürger war Wünsdorf absolutes Sperrgebiet. Freundschaft hin, Sozialismus her, wesentlich anders dürfte es der Bevölkerung vor und während zweier Weltkriege allerdings auch nicht ergangen sein, da sich vor 1945 regelmäßig andere, nicht minder geheime Oberkommandos deutscher Machart im kleinen Ort südlich Berlins einnisteten. Die Sowjets aber gingen rigoroser vor. Sie okkupierten alle Gebiete östlich der Bahnlinie und unterbrachen sogar die F96, die heutige Bundesstraße 96 für den Verkehr.
Was Berlin anbelangte hatte jede alliierte Besatzungsmacht einen Sonderbahnhof für Truppenbewegungen. Die Briten hatten Charlottenburg, die Franzosen Tegel, die Amerikaner Lichterfelde und die Sowjets Wünsdorf. Bis 1994 fuhr vom kleinen brandenburgischen Wünsdorf sogar täglich ein Zug gen Moskau. Wünsdorf war von hohem Interesse, es beherbergte das Oberkommando der GSSD, der Gruppe der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland.
Am Standort selbst leisteten in der Regel ca. 30.000 Soldaten ihren Dienst. Als sich die Russen 1994 verabschiedeten, zogen sie alle Truppen über Wünsdorf gen Heimat ab. Mit einer Belegung von bis zu 75.000 Mann platzte dann selbst dieses riesige Areal aus allen Nähten. Sie hinterließen ein mehrere hundert Hektar großes Gelände, und was die Übungsplätze anging teils gespickt mit gefährlichen Altlasten wie Munitionsresten, Altöl sowie Bomben- und Waffenteilen.
Die Hauptgebäude hingegen wurden den Deutschen 1994 in gutem Zustand übergeben und fielen erst danach Verfall und Verwüstung anheim. In fast 20 Jahren kümmerte sich leider niemand wirklich ernsthaft um die Bausubstanz und so sind die Anlagen heute, nach zwei überstandenen Weltkriegen und drei den Standort nutzenden Regimes, von ins Gemäuer einsickerndem Wasser geplagt und damit von teilweiser Einsturzgefahr betroffen.
Besonders das detailverliebt als Weltkriegsmuseum eingerichtete Diorama bröckelt vor sich hin. Von außen gleicht dieses einzigartige Dokument eher einem futuristischen Sichbeton-Orgasmus, innen aber wurde die Geschichte des Sieges über Hitler-Deutschland dargestellt. Das Diorama wurden den wiedervereinigten Deutschen für geringe 100.000 Deutsche Mark angeboten, was damals aber dummerweise abgelehnt wurde. Neuesten Informationen nach wurde der museale Inhalt des Dioramas in der Geburtsstadt des Marschalls Georgi Schukow wieder aufgebaut.
Die Serie „Ostdeutschlands sowjetisches Erbe“ mache ich weil ich mich für Geschichte interessiere. Deutschland und Russland sind heute wie damals eng miteinander verwoben, erlebten zusammen sowohl Stern- als auch dunkelste Stunden. Genau hier soll diese Fotoserie einhaken. Nicht als Wertung oder Propaganda, sondern einfach also Dokument und Denkansatz.
Ungelüftet und von hoher Luftfeuchtigkeit malträtiert, riecht es, sobald man Kulturhaus oder Theaterhaus betritt, wie in Uromas „guter“ alter Schlafstube. Hinzu kommt, dass die Bausubstanz generell sehr gut sowohl Kälte als auch Wärme speichert. Ein Mekka für Fans des satt pilzdurchsetzten Mikroklimas. In gekachelten Gebäuden wie der grandiosen Schwimmhalle nimmt die Sporenbelastung eine Auszeit und wird olfaktorisch vom immer noch präsenten Schweiß der Vorfahren ersetzt. Weiter im Süden schließt sich das Gelände der Infanterieschießschule an, welches ich bei einem zweiten Besuch Wünsdorf erkunden werde. Wie gesagt, das Gelände ist riesig… Beim Erkunden begleitete mein russischer Freund und Fotograf Victor Boyko.