Die Unterwelten der Stockholmer Tunnelbana
Was haben Ebba, Knut, Greta und Elvis gemeinsam? Richtig: alle sind blau, auf der „falschen“ Seite anzutreffen und verkehren ausschließlich in der Stockholmer Unterwelt. Was nach ner Horde zechender Grufties klingt, ist genauer gesagt schwarz-blau, aus Metall und dem Transport von Menschen gewidmet, denn jeder Waggon der Stockholmer U-Bahn Tunnelbana hört auf einen eigenen Namen. Hauptzutat der schwedisch-sympathischen Hauptstadtmetro ist aber vor allem die Vielfalt der Bahnhöfe. Die unterirdischen von ihnen sind künstlerisch ausgestaltet und erzählen eigentlich immer eine eigene, optisch-spannende Geschichte.
Hätte es die Tunnelbana schon zu Galliers Zeiten gegeben, hätte sich Obelix wohl sicherlich zu einem „Du Asterix, die Spinnen die Schweden!“ hinreißen lassen denn es ist irgendwie merkwürdig in einem Land mit Rechtsverkehr eine auf dem linken Gleis verkehrende U-Bahn zu besteigen. Den Schweden ist das so in Mark und Bein übergegangen das meine Frage, warum die Bahn links und nicht rechts verkehrt, mit großen Augen, verblüfften Gesichtern und ratlosen Grinsen „beantwortet“ wird.
Eine links verkehrende Bahn bringt auf jeden Fall selbst den orientierungsfähigsten Menschen schnell zu Fall, so dass die Phrase „Ok, dann fahren wir halt wieder ein paar Stationen zurück“ schnell ins Alltagsvokabular einer Stockholm-Reise einfließt. Gesagt, getan, fahren wir – Fotografenfreund Torsten sowie meine Wenigkeit – in altbekannter Berliner BVG-Weise das komplette Streckennetz der Stockholmer Tunnelbana ab.
Die über Tage verlaufenden Streckenabschnitte laden eher zum Gähnen ein und ein kleiner Junge, der sich glücklich gackernd an fruchtigen Wortspielen zwischen Tunnel und Banana ergötzt, avanciert in der oberirdisch-langatmigen Welt des 10-Minuten-Takts zum einzig Positiven das die Motivation am Leben hält, irgendwie. Doch dann geht es in den felsigen Untergrund und die kantige Beschaffenheit gibt schnell Aufschluss, warum unsere skandinavischen Nachbarn für die Tunnelbana den Begriff Tunnelbahn verwenden.
Grundsätzlich hat die Stockholmer Tunnelbahn drei Stammlinien, blau, grün und rot, die sich dann gen ihrer jeweiligen Endhaltepunkte aufsplitten. Am insgesamt spannendsten gestalten sich dabei die Bahnhöfe entlang der blauen Linie 10 stadteinwärts zwischen Fridhemsplan und Kungsträdgården, aber auch der nördliche Ableger der 10 gen Hjulsta hat mit Tensta, Duvbo und Vreten ein paar echte Hingucker zu bieten.
Besonderer Hingucker ist der komplett in infernalischem Rot gehaltene Bahnhof Rådhuset, deren futuristisch illuminierte Rolltreppe ein wenig an eine Fahrt entlang der Mundschleimhaut erinnert. Auch der Vergleich mit einer Treppe hinab in die Hölle ist ob der Nähe des Rathauses und damit der Politik nicht weit hergeholt.
Nächster optischer Knaller ist der in dominantes Blau getauchte unterste Bahnsteig am T-centralen, dem Knotenpunkt auf dem alle drei Linien zusammenlaufen. Diesen Bahnhof menschenfrei ablichten zu können ist ein Ding der Unmöglichkeit, es sei denn, man nennt einen stärkeren Graufilter sein eigen. Anders als in Berlin, wo allein die Anwesenheit eines Fotografen bereits todwünschende Blicke heraufbeschwört, zeigt der schwedische Alltag kein Fremdeln im Beisein von Kamera und Stativ. Das Treiben am T-centralen stellt dies eindrucksvoll unter Beweis.
Danach folgt mit der Station Kungsträdgården der östliche Terminus der Blå Linjen (blauen Linien), deren wiederum östlicher Ausgang mit 1:21 Minuten die wohl längste Rolltreppenfahrt der Tunnelbana bietet. Mit seinen Säulen und antik anmutenden Statuen erinnert der Bahnhof ein wenig an untergegangene Metropolen wie Pompeji oder das alte Rom.
Bis Fridhemsplan, wo man auf die Gröna Linjen (grünen Linien) umsteigen kann, verlaufen 10 und 11 unterirdisch und auf dem gleichen Gleis um dann nach einem kurzen Tageslichtintermezzo wieder abzutauchen, auf das es im nördlichen Streckenteil ab Huvudsta wieder interessant wird, wenn symmetrische Doppelbahnsteige und Linien das eigene Augenmerk kapern.
Besonders schön sind dabei die Bahnhöfe Vreten und Tensta. An ersterer Station „bricht“ der blaue, sonnig-wolkige Himmel in Form von Würfeln quasi durchs graue Mauerwerk des parallelen Bahnsteigs während in Tensta beide Bahnsteige wieder von einander getrennt verlaufen. Die dortigen leuchtenden Wandmalereien erinnern an das prähistorische, naturbelassene Europa und katapultieren den Betrachter förmlich in die Zeit der Neandertaler.
Von Westen kommend ist die grüne Linie lange lange Zeit eher funktional gestaltet. Interessant wird es erst nach Erreichen der Station Thorildsplan deren Aufgang grafisch an frühe Computerwelten anknüpft. Wirklich nennenswert ist dann nur noch die Lichtinstallation am Hötorget, bevor die Reise gen Südost und zu den zwei einzigen Highlights der Linie 17 führt, den zwei vorletzten Stationen Bagarmossen und Skarpnäck.
In Bagarmossen dominiert klarer kühler Sichtbeton geführt von Linien futuristischer Lampenreihen nebst einem an der Wand verlaufenden breiten Streifen in der Art eines Farbverlaufes. In Skarpnäck kommt dann vor tiefroter Kulisse das Wikingererbe Skandinaviens ins Spiel. Die in einer Flucht verlaufenden granitenen Trilithen laden zum Lesen, Smartphone quälen oder aber auch Kaffee trinken ein während man auf die nächste Bahn wartet.
Mit der Röda Linjen, den roten Linien, verhält es sich von Südwesten gen Stadtzentrum fahrend ähnlich wie mit der grünen Linie: sie ist zum großen Teil struuuuunzlangweilig. Einzig die Station Alby, kurz vor Ende der Linie 13, sticht aus dem Einheitsbrei heraus. Anders sieht es hingegen auf den nördlichen Abschnitten der roten Linien aus, besonders Richtung Mörby Centrum, dem nördlichen Terminus der 14.
Gestalterisch fallen die nördlichen Stationen der rote Linie von Bergshamra bis Stadion ins Auge, wobei insgesamt die Ausgestaltung des Bahnhofs Tekniska Högskolan (Technische Hochschule) überzeugt. Aber auch der freundlich-friedliche Charakter des Bahnhofs Stadion zieht genauso in den Bann wie die übergroßen Notausgangsfiguren an der Station Universitetet. Bergshamra wiederum ist ein Traum in skandinavisch schwarz, deren Kontrastfarben sich zart in der Wandvertäfelung spiegeln. Die rote Linie kann man übrigens noch mit den alten Zügen der Tunnelbana befahren, die aber keine eigenen Namen haben, ein Stück lauter sind und stärker bremsen als die neuen Züge.
Die Grüne bin ich öfter gefahren als mir lieb ist, denn mit der richtigen Richtung/Orientierung im Kopf, aber nicht wissend, dass die Tunnelbahn auf der „falschen“, sprich linken Seite verkehrt, lande ich ein paar Mal ungewollt in Östermalmstorg um dort festzustellen, dass ich falsch unterwegs bin und zurück fahren muss um gen Altstadt (Gamla Stan) zu kommen. So oder so sind die Tunnelbana-Züge ziemlich sauber, nicht zuletzt des Menschen wegen, der an jedem Endhalt den Zug vom Gröbsten reinigt. Davon könnte sich Berlin wirklich mal ne Scheibe abschneiden, denn es ist schon ziemlich eklig auf dem Weg zur Arbeit um halb neun morgens in der M10 eine widerliche Kotzlache vorzufinden, die dort bereits um vier in der Früh platziert wurde.
Das Wetter dieses langen Wochenendes in Stockholm war relativ wechselhaft und von daher ideal um in der U-Bahn den Regenschauern entgehen zu können. Eines Abends zogen wieder einmal dramatische Wolken über die schwedische Hauptstadt. Die damit verbundene Lichtstimmung konnte ich am Globe bzw. der Tele2 Arena einfangen, wobei ersterer wirkte als würde ein riesiger R2-D2 aus dem Erdreich empor steigen.
Dieses kleine U-Bahn-Abenteuer wurde uns – Torsten Goltz und mir – versüßt vom Hotel und Cafe Sven Vintappare in der Altstadt, wo sich Giulia täglich das Futter aus dem Ärmel riss um uns mit überirdischen Frühstücken den Start in den Tag zu versüßen. Gleiches gilt für das Restaurant B.A.R., welches mit einer endgeilen Frischfischtheke aufwartet. Alles ist auf den Punkt genau zubereitet bzw. gegrillt, sogar auf Holzkohle, und das zu sehr guten Preisen. Fett!