Die Bosporus Metropole
Welche Stadt, wenn nicht das alte Byzanz und vormalige Konstantinopel hätte ein besserer Startpunkt einer Orientreise sein können, als die Metropole zwischen Okzident und Morgenland? Bereits der Anflug war klasse. Von Norden kommend schwebte die Maschine in bestem Sonnenuntergangslicht über das Goldene Horn, Hagia Sophia und die große Moschee gen Atatürk Airport. Deutsche dürfen ohne ein Visa kaufen zu müssen direkt beim Herrn von der Einwanderung vorstellig werden und bekommen ohne langes Federlesen ihren Stempel in den Pass. Mit der Metro ging es zunächst nach Zeytinburnu und von dort mit der Straßenbahn Richtung Sultanahmet, wo dann auch schon mein Hotel auf mich wartete. Die Fahrt vom Flughafen in die Stadt führt zum Teil durch die wenig anheimelnden Vororte, die mich stark an eine andere Agglomeration erinnerten: Sao Paulo. Im Großen und Ganzen sollen in Istanbul 12 Millionen Menschen leben. Eine Zahl, die von den Einheimischen gern fast verdoppelt wird, hört man doch auf die Frage, wie viele Menschen in Istanbul leben würden, oft Loveparade-ähnliche Antworte wie etwa: 20 Million People! Der marginale Unterschied von nur 8 Millionen ist in den öffentlichen Verkehrsmitteln nicht wirklich spürbar ;-) Sitzplätze bekommt man entweder nur auf den ersten Stationen, oder aber zu nachtschlafender Zeit.
Und so waren die Metro als auch die Straßenbahn knüppeldick voll und ich mit schwerem Gepäck mittenmang. Die Fahrt vom Airport nach Sultanahmet dauert ca. 45 Minuten und schon bald war Cemberlitas, meine Endstation erreicht. Während ich zu meiner Unterbringung stiefelte, durchflutete die kleinen Straßen nach und nach der Geruch kleiner Holzfeuer, deren Wärme auf Wägen gebaute Mini-Öfen antreibt und so frisch Geröstetem oder aber Tee einheizt.
Die erste Nacht im Orient kann jäh zu Ende sein, wenn sich die Sonne anschickt den Horizont zu übersteigen. Für Mitteleuropäer bedeutet der morgendliche Ruf des Muezzins das abrupte Ende der Nacht oder zumindest ein schlagartiges Erwachen, denn oftmals kommt der Gebetsruf vom Tonband und wird über suboptimal ausgesteuerte Lautsprecher in den Äther entlassen. Im Vergleich zu Amman, wo das Tonband zudem noch leiert und Hunde heulenderweise in das Auf- und Abschwellen einstimmen, erscheint die Istanbuler Geräuschkulisse gesittet. Für meine Begriffe gewöhnt man sich schnell daran und wenn man nach einer gewissen Zeit im Orient wieder auf moscheenlose Gegenden trifft, vermisst man sogar den regelmäßigen Aufruf zur Anrufung.
Glas und Stahlbauten kann man heutzutage fast überall auf der Welt bewundern. Ob nun der Boden auf dem das verglaste Stahlskelett steht nun Potsdamer Platz, Frankfurt oder aber New York heißt, ist zweitrangig. Die von solchen Gebäuden ausgestrahlte Atmosphäre ist niemals zweideutig und überall auf der Welt die gleiche. Von daher konzentriere ich mich ganz bewusst auf das Einmalige, welches man nur in der Geschichte einer Stadt wiederfindet, in der Altstadt.
Zwischen Goldenem Horn und Marmarasee liegt eine weitere Istanbuler Attraktion, der Grand Bazar. Den vollständig überdachten Markt findet man unmittelbar nördlich der Cemberlitas Station. Orientfans werden Stunden zwischen Gewürzen, Lederwaren, Badekultur und handgemachten Leuchtern zubringen können. In den labyrinthartigen Gassen nicht verloren zu gehen, bedarf auf jeden Fall eines guten Orientierungsvermögens und Kaufrauschresistenz ;-) Wem der Istanbuler Basar gefällt, der wird die Souqs im Nahen Osten lieben, denn diese kommen noch ein wenig ursprünglicher daher.
Genau wie die Divan Yolu die Mitte des alten Konstantinopels durchzieht, bahnt sich die Türkeli Caddeli südlich ihren Weg durch die Häuser. In den Restaurants am Kumkapi wird man zu fortgeschrittener Stunde von diversen Folkloregruppen unterhalten. Wer es preiswerter mag, der kann sich in einer der öffentlichen Küchen eine absolut gleichwertige Mahlzeit holen. Dort stehen in der Regel 10-12 große Pfannen mit unterschiedlichen Gerichten zur Auswahl, von Lamm bis Hähnchen und diversen vegetarischen Speisen ist alles zu finden. Dazu gibt es sehr gutes Brot so viel man möchte, entweder Baguette oder aber traditionelles Fladenbrot. Dazu einen großen Ayran und das türkische Abendbrot ist komplett.
Doch auch Galata und Ortaköy haben ihren Reiz. Je weiter man sich nordwärts bewegt, desto moderner wird die Stadt. Eine architektonische Bewegung, die letzten Endes im Hightech-Wolkenkratzer-Bezirk Levent mündet.
Auf der Galatabrücke, die das goldene Horn überspannt, kann man oft Angler beobachten, wie sie zum einen aus Spaß an der Freund, zum anderen aber auch eines Zusatzeinkommens wegen, den Fischen das Leben schwer zu machen versuchen. Oft kann man den soeben gefangenen Fisch nur wenige Meter weiter von einem mobilen Grill zubereiten lassen um ihn dann vor den Augen aller im Mund verschwinden zu lassen. An Freitagen und natürlich auch am Wochenende müssen die Angler früh aufstehen, denn dann gibt es keinen freien Platz mehr am Geländer.
Während oben von der Brücke tausende Meter Sehne ins Wasser gelassen werden, kann man im „Untergeschoß“ der Brücke in gehobenem Stile tafeln. Natürlich steht hauptsächlich Fisch auf der Speisekarte. Das nicht ganz preiswerte Vergnügen bietet aber vor allem eins: eine sagenhafte Kulisse und fangfrisches Meeresgetier.
Ortaköy ist vor allem für ein Bild berühmt: die verschnörkelte Camii (türk: Moschee) zu Ortaköy mit der Bosporus Brücke im Hintergrund. Hier kann man auf einer der zahllosen Bänke am Ufer die Seele baumeln lassen, oder aber sich an einem der Imbissstände die größte mir je untergekommene Ofenkartoffel ordern. Die Einheimischen garnieren sich diesen Semi-Fußball von Erdapfel mit allen nur erdenklichen Saucen: Mayonnaise, Senf und Zaziki tangierend, bis Ketchup und zurück.
Wer Istanbuler Distanzen falsch einschätzt, der wird schnell mit einem Spaziergang bestraft, der als Gewaltmarsch in die Ortschronik hätte eingehen können. So geschehen, als ich von Sultanahmet nach Ortaköy lief, was satte 9 Kilometer sind. Lange Spaziergänge haben aber den Vorteil eine Menge von der Stadt hautnah mitzubekommen. An den Hängen gewinnen mehr und mehr herrschaftliche Villen und exklusive Wohnungen mit Bosporusblick die Oberhand.
Dort liegt auch der südliche Campus der Bogazici (türk: Bosporus) Universität, von der man (mit Beziehungen) ein traumhaftes Panorama über die Meerenge hat. Zur linken mit der zweiten Bosporusbrücke beginnend, um dann den Blick rechts an den hinter einem Berg versteckten Pfeilern der ersten Brücke anbranden zu lassen. Die Atmosphäre dort, mang den ganzen Studenten, ist einmalig.
Auch findet man schnell „neue Freunde“, die sich einem an die Fersen heften, etwas über Istanbul erzählen und wie schön es hier sei. Einleitend mit „Hey, haben wir uns gestern nicht in der Disco gesehen?“ kam dann der Vorschlag vielleicht einen Drink zusammen zu nehmen. Der Spaziergang führte über die Istiklal Einkaufsmeile Richtung Taksim und auch war der Schwatz nicht wirklich unangenehm. Allerdings kam gegen Ende dann die Forderungen nach einem Obolus oder aber ob ich den „versprochenen“ Drink in bar auszahlen würde…
Nichts desto trotz führte mich der Weg dieser Unterhaltung in die Gassen rund um den Taksim. Die Istiklal selbst ist locker durch Straßen wie z.B. dem Kurfürstendamm oder aber der Friedrichstrasse ersetzbar. In den Seiten- und Parallelgassen jedoch trifft man auf ein Flair, dass sofort Erinnerungen an ein sommerliches Friedrichshain oder Prenzl’berg wach rief.
Ich verlasse Istanbul auf jeden Fall mit einer Träne im Knopfloch. Ich habe eine pulsierende Stadt kennen gelernt, deren lebendige Historie bis weit in die Gegenwart zu spüren ist. Und es gibt noch sooooo viel mehr zu sehen und erleben: Dolmabahce und Ciragan Palast, die Rumelihisari Bastion und natürlich der Topkapi Palast. Genug Potential also um die zwischen Marmarasee und Schwarzem Meer gelegene Metropole es ein zweites Mal anzusteuern. Istanbul hätte ich ohne Kumru wohl nicht so erlebt wie ich es erlebt habe. Ein ganz ganz großes Danke an die Frau mit dem süßen Lächeln :-) Auf das wir uns bald in Kopenhagen wiedersehen.