Noch ewiger als Rom – Damaskus
Mittendrin statt nur dabei
Im Gegensatz zu uns Deutschen essen die Damaszener tagsüber leider wenig. Mein Magen hing bereits in den Kniekehlen als Gott mir irgendwo inmitten des Labyrinths der Gassen der Altstadt einen Schawarma-Stand, und dem Standinhaber das Geschäft seines Lebens schenkte. Halleluja! Und so fraß ich dem Syrer, dessen Gesichtsausdruck von Gastfreundschaft in pures Erstaunen wechselte, die Schawarma-Rollen weg wie Salzstangen.
Das Damaszener Schawarma war das Beste meiner gesamten Reise. Zutaten: gegrilltes, eingelegtes Hähnchenfleisch, ein wenig Tomate, Streifen saurer Gurke, arabische Gewürze und ganz wichtig: ein wenig Schmalz vom Hammel. Dann wird alles wird in arabisches Fladenbrot gewickelt und landet umgehend im Verdauungstrakt des Deutschen.
Mit vollem Magen kullerte ich dann förmlich durch die Altstadt, ließ mich vom Sog der Menschen treiben und landete im Quartier nordwestlich der Umayyaden-Moschee, wo mich plötzlich ein Alter heranwinkt. Er zückt den Schlüssel und plötzlich stehen wir in einem herrlich angelegten Innenhof, in dessen Zentrum einer kleiner Springbrunnen plätschert. Daneben steht ein Orangenbaum dessen Laub vom Wassernebel benetzt glitzert. Mein Blick in den Himmel wird durch ein Glas Tee zurück auf die Erde geholt. Hmmm… Schwarzer Tee mit 2-3 frischen Minzeblättchen. Köstlich!
Der Alte zückt wieder seinen Schlüssel und *zack* stehen wir inmitten der Flut alter Büchern der Al Dhaheriyah Bibliothek. Ein herrlicher Anblick, diese alten mit Kaligraphien verzierten Schinken. Genau gegenüber, auf der anderen Straßenseite zückt er abermals einen Schlüssel und hinter einer schweren Tür eröffnet sich die mit diversen Marmorapplikationen ausgestaltete Ruhestätte von Sultan Baibars I., der einst die Kreuzfahrer nach Hause schickte und ein ähnlich hohes Ansehen genießt wie Saladin.
An Freitagen aber geht gar nichts in der Stadt. Die normalerweise mit Leben gefüllten Gassen der Altstadt sind wie ausgestorben. In einer auf die Straight Street einmündenden Gasse stehen die Tore der Feuerwehr sperrangelweit offen und ich bekomme die Minifahrzeuge der Altstadt-Feuerwehr zu Gesicht, welche gerade schmal genug sind um im Ernstfall auch in den schmalen Wegen der Altstadt voran zu kommen. Tags zuvor verließen unweit der Feuerwehr etliche buntbemalte und mit glitzernden Metallstreifen geschmückte Busse die Straight Street Richtung Bab Sharqi, dem östlichen Tor der Altstadt.
Das Donnern ihrer Dieselmotoren reißt die kleinen, eng aneinander gebauten Häuser des christlichen Viertels aus ihrem Dornröschenschlaf. Was zunächst wie ein Militärtransport klingt ist allerdings etwas viel Harmloseres, denn Schulbusse bringen dutzende Kinder von den Schulen nach Hause in die umliegenden Gebiete. Mit neugierigen Blicken und an der Scheibe platt gedrückten Nasen fahren die bunten Riesen an mir vorbei.
Doch zurück zum Freitag, wo ich plötzlich in einer Menge wild artikulierender Menschen lande. Ehrlich gesagt ging mir ein wenig die Düse als sie mich an der Hand nahmen, denn solche Aufnahmen geistern bei uns immer über die Fernsehschirme wenn mal wieder tendenziell/unobjektiv von den bösen Muslimen berichtet wird. Doch schnell wird klar, dass ich keine Angst zu haben brauch, denn man möchte mir etwas zeigen. Die Prozession führt zur schiitischen Sayyidah Ruqayyah Moschee, deren Inneres man erst nach Überwinden eines gut einen Meter hohen Schuhbergs erreichen kann.
Die Blicke der Menschen auf mich gezogen, kam mir ein Herr entgegen und fragte mich höflich, ob ich meinen Rucksack nicht öffnen kurz könnte. Angesichts der täglichen Horrormeldungen aus dem Irak, ist hier der Sicherheitsgedanke mehr als angebracht, und, viel wichtiger, höflich praktiziert. Kaum war das erste Eis gebrochen, erklärte man mir was hier passiert, sprich dass hier und jetzt der Tod von Ruqayyah, der jüngsten Tochter des schiitischen Imams al-Husain ibn Ali, dem Chef der Märtyrer, einem direkten Nachfahren des Propheten Mohammed, was das Mädchen ebenfalls zu einer Erbin macht.
Im Innenhof zogen sich alle plötzlich Männer ein weißes T-Shirt über, wobei die vielen Narben der Selbstgeißelung zu sehen waren. Dann stimmten sie ein Lied an und schlugen sich mit der ausgestreckten Hand auf die Brust. Der Knall dieses rhythmischen Schlagens war noch weit (!) außerhalb der Moschee hörbar. Manche Männer ritzten sich mit Rasierklingen die Stirn auf und bluteten stark, andere Männer zogen es vor sich „nur“ den Rücken zu peitschen. Im Inneren saßen die Frauen, blickten auf den Raum mit dem Schrein der Sayyidah Ruqayyah und weinten bitterlich. Der Glaube dieser Menschen war buchstäblich zwischen den Fingerspitzen fühlbar.
Verständlicherweise war es nicht erlaubt zu fotografieren. Da ich dies und die Intimität des Moments selbständig erkannte und dies auch durch das sichtbare Ausschalten meiner Kamera auch symbolisierte, ließ mich der Imam dennoch am Gebet teilnehmen und danach sogar die Moschee fotografieren, ausnahmsweise. Während des Gebets saß ich am Rand einer Heerschar von Männern die ebenfalls Rotz und Wasser heulten den Schrein von Sayyidah Ruqayya bitterlich beweinten. Nach Ende des Gebets kam die halbe Moschee mit roten Augen auf mich zu, drückte mich, umarmte mich, kleine Jungs gaben mir Bonbons. Alle freuten sich, dass ich mit dabei war. Undenkbar, weder für einen katholischen noch evangelischen Gottesdienst.
Obwohl ich selbst aufgeklärt bin, habe ich vor solchen Momenten höchsten Respekt, denn Religion steht in erster Linie für gesellschaftlich allgemeingültige Werte, z.B. den Umgang miteinander und wie man anderen Menschen begegnet. Auch wenn ich sehr selten aus religiösen Gründen je ein christliches oder muslimisches Gotteshaus betrat, so hat die Religion mich, einen Außenstehenden, hier in Damaskus integriert und lernen lassen. Im Jahre 2014 und dem IS sieht das unter Garantie anders aus und man könnte solche Momente nicht mehr ohne begründete Angst erleben.
Was für Berlin die Spree, ist für Damaskus der Barada, welcher sich genau wie in Berlin in diversen Produktnamen wiederspiegelt. So zum Beispiel im bekanntesten Bier des Landes, welches über die zwölf Monate eines Jahres verteilt sicherlich konstanter sprudelt als der Fluss, welcher wetterbedingt auch mal ein kleines Rinnsal sein kann während er unter der geschäftigen Ath Thawra Road hindurch fließt. Bier in einem muslimischen Land? Ja, auch das zeigt wie offen die syrische Gesellschaft war. Der Barada ist es, der die Damaszener Oase erschuf und die Siedlung über die Jahrtausende hinweg zur Stadt werden ließ.
Verwendete Fototechnik: Canon EOS 20D, Canon EF-S 10-22, Tamron 17-50 f2.8, Tamron 28-75 f2.8