Audioriver Festival 2007 (Samstag)
Stell Dir vor Du bist in Polen und Dir geht der Wodka aus… In der Tat passierte genau das den Audioriver Jungs. Allerdings, um ehrlich zu sein, gab es viele durstige Kehlen, die der großen Kiste schnell ein Ende bereiteten. Ansonsten gab es nur eine einzige Frage am nächsten Morgen: „Heiliger…! Was war das?! Wir haben 6 Stunden lang ohne Pause gerockt…“
Nimmt man die Wortkombination Festival und freier Eintritt in den Mund, mag sich manch einer eher an ein Trinkgelage-artiges Volksfest erinnert fühlen. Audioriver tritt jedoch sofort den Gegenbeweis an, da es hier eigentlich nur um drei Dinge geht: Musik, Musik und nochmals Musik. Schon beim Lesen des von der Polnischen Biermarke Lech gesponserten Line-Ups war einem sofort klar, dass etwas anderes als am 3. und 4. August in Płock eine kompromisslos gute Zeit zu haben nicht möglich ist. Am Ort des Geschehens angekommen, wurde die Augen und die Ohren zunächst durch das sehr gute Soundsystem und die atemberaubend guten Visuals entführt. Die Magier verantwortlich für Optik, Animationen und Projektionen verwandelten die Bühne in einen großartigen Spielplatz für die nachfolgenden Top Acts. Viele Besucher suchten sich ein Plätzchen am Berghang und stimmten sich durch die audiovisuelle Fusion von Bühne und Fluss auf die bevorstehende Partynacht ein.
Das Audioriver Festival erschien buchstäblich aus dem Nichts. Im vergangenen Jahr 2006, dem Jahr seiner Geburt, zog das zweitätige Event bereits 20.000 Menschen nach Płock (gesprochen wird’s wie „Potzk“) an den Strand an der Weichsel. Die zweite Ausgabe kann sogar mit doppelter Besucherzahl aufwarten, die Herren von der Polizei sprachen im Verlauf des Samstags von insgesamt über 40.000 Besucher. Trotz der Enge im Technozelt am Freitag gibt es jedoch erstaunlich viel Bewegungsfreiheit zum tanzen, chillen und was man sonst auf Festivals noch gern in Angriff nimmt. Im Allgemeinen ist das 2007er Line-Up eines der interessantesten dieses Festival-Sommers. Die Acts die jedoch am Samstag auf der Hauptbühne spielten, waren das Tüpfelchen auf dem i. Spooky, Hybrid, Infusion – und allesamt live! Zudem war das Audioriver für diese drei die Premiere live auf Polnischem Boden aufzutreten. Jeder einzelne Protagonist dieser kongenialen Teams hatte keinerlei Mitleid mit uns, ließen sie unseren Leibern doch nicht eine einzige Sekunde des Verschnaufens.
Der erste Auftritt des Abends war jener von Charlie May und Duncan Forbes, besser bekannt als Spooky. Die Menschenmenge wurde zuvor von Warm-Up DJ Leon, einem Resident des Warschauer Klatka Clubs, in die Spur geschickt. Charlies und Duncans Live Act war der perfekte Auftakt, war ein Ausgangspunkt wie er nicht besser hätte gewählt werden können. Ihr druckvoller treibender Sound, gewürzt mit anspruchsvollen Harmonien und dezenten Vocals blies jedermann den Kopf von den Schultern. Leitwolf Charlie hatte die tanzende Menge vor der Hauptbühne immer fest im Blick, sogar während der Einlagen am Keyboard. Neben ihm rockte Duncan, dessen Gesichtsausdruck eine ganz klare Message transportierte: ich bring Euch schon zum tanzen. Der Nähe zum Publikum halber bevorzugen die zwei eigentlich Auftritte in Clubs; damit meinten sie gar richtig kleine und familiäre Clubs. Die Atmosphäre beim Audioriver jedoch hat die beiden schwer beeindruckt. „Das ist eine außergewöhnliche Nacht hier mit Euch am Fluß!“ meinte Charlie, während Duncan versuchte die Leute ein wenig zu verklapsen „Ja, die Atmosphäre lässt mich doch gleich die vielen Mücken hier vergessen. Ich sehe ja schon aus, als ob ich von einem Trip aus’m Amazonasgebiet wiederkomme und nicht aus Polen… ;-)“
Spätestens durch den Insekten abschreckenden Wodka-lastigen Atem allerorts, gab es nicht viele Angriffsmöglichkeiten für Mücken & Co. Das einzige Sirren in jener Nacht kam wenn dann von der Hauptbühne, als X-Press 2 sich anschickten das Ruder zu übernehmen. Eigentlich sollte auch X-Press live auftreten. Da Ashley Beedle allerdings erkrankte, fiel die Livegeschichte ins Wasser und beide Darrens lieferten ein klassisches DJ-Set ab. Die zwei verdichteten die von Spooky erschaffene, leicht Psycho-angehauchte Atmosphäre, indem sie ihren typisch karibisch beeinflussten, perkussiven Techno in die Menge warfen. Natürlich gaben sie auch Klassiker wie Smoke Machine oder Muzikizum zum Besten; zwei Scheiben, die die die Menge vor der Hauptbühne in einen wild-exotisch tanzenden Hexenkessel verwandelten.
Während die zwei von X-Press 2 auf der Hauptbühne zugange wahren, kam Infusions Jamie Stevens lang: „Stell Dir vor Du bist in Polen und Dir geht der Wodka aus…! Wo ist das Bi**…? Ah, dort. Ach Du Sch***… Es ist Light Bier!“ Die große Kiste mit Wodka hat in der Tat nicht lange überlebt, da in jeder Nacht viele Leute der klaren Spirituose nachstellten. Und während Jamie das Light Bier entdeckte ging schon das nächste „Hallo!“ durch die Runde: die Jungs von Hybrid zeigten sich. Mit ihnen im Schlepptau Manager Leon Alexander von Hope, die Sänger John Graham (Quivver) & Charlotte James, sowie Drummer Alex Madge und Gitarrist Tim Hutton nebst eigenem Toningenieur. Nachdem der Soundcheck on the fly getan war, regnete genau das auf die Menge nieder, was man beim Hören des Namens Hybrid unbewussterweise auch erwartet: treibende aufgeschlüsseltere Rhythmen mit verrückten Breaks und Geräuschen, dazu ein paar Flächen und kickende Bässe, abgedrundet durch sinnlich-dezente Vocals und live gespielte Instrumente. In einer Stunde Hybrid kamen sowohl neuere Produktionen á la Dog Star, Secret Circles oder Until Tomorrow, als auch Klassiker wie Kill City oder die legendäre Finished Synphony zum Einsatz. Hinter, auf und natürlich vor der Bühne wurde geschwitzt, gerockt und jeder war einfach irgend wie am dauergrinsen.
Als DJs hatten sie Polen schon besucht, der Gig auf dem Audioriver jedoch war der erste Live-Auftritt Hybrids auf polnischem Boden. Den Jungs von Infusion ging es da ähnlich, von den Dreien war bis dato noch keiner im östlichen Nachbarland Deutschlands aufgetreten. Nach Chris und Mike schickten sich die Australier an die Regie auf der Hauptbühne zu übernehmen. Jamie, Manuel und Frank – in jener Augustnacht gaben die drei Chefrocker aus Down Under ihr polnisches Debüt und der Menge den musikalischen Kopfschuss. Egal wo man hinschaute, niemand der nicht sprang, niemand der nicht johlte, niemand der nicht tanzte. Es brauchte nicht lange und Infusions einzigartige Produktionen wie „Legacy“, das sagenhaft treibende „Girls Can Be Cruel“ oder Remixe wie z.B. auf Icehouse „Hey Little Girl“ brachten auch die Jungs auf der Bühne zum rocken und rumspringen. Den Schlussakkord setzten Jamie & Co. mit einer der Infusion Hymnen schlechthin: „Love & Imitation“, in dessen Refrain „And I know, what I feel should be natural…“ alle mit einstimmten und Infusion von der Bühne verabschiedeten.
Zeitlich gab es keine Chance sich der Dinge im Technozelt anzunehmen, ja nicht einmal einen Blick in die Circus Stage zu werfen. Live Auftritte von Robert Babicz und Jake Fairly, sowie DJ-Sets aus dem Hause Martinez und Matthew Dear, dass sind Schmankerl die alles andere als uninteressant sind.
Und so endet das zweite Audioriver mit zwei wichtigen Erkenntnissen. Zum einen, dass man VOR einem Gig keine polnische Sauerkraut-Suppe essen sollte. Zum anderen, dass Audioriver sich bereits mit seinem Debüt der ersten Riege europäischer Festivals anschloss und die zweite Ausgabe unmissverständlich klar machte, dass dieses Festival ganz gewiss seinen Platz unter den Top-Events der globalen Musikszene einnehmen wird, wenn nicht sogar schon eingenommen hat. Die Organisation wurde tatkräftig durch Sound Revolt unterstützt, deren Köpfe sicherlich rauchten, als es darum ging ein derart feines Line-Up auf die Füße zu stellen und sich dann auch noch um die Künstler zu kümmern. Im nächsten Jahr können wir ganz sicher wieder auf eine einzigartige Zusammenstellung von Künstlern hoffen, da bereits jetzt schon die ersten Ideen kursieren, wie z.B. Way Out West live…
Ihr kennt sicherlich dieses Gefühl etwas Besonderes erlebt zu haben und dies der ganzen Welt berichten zu wollen während man immer noch das zufriedene Grinsen im Gesicht hat, welches sich einstellte als der Schlussakkord gespielt wurde. Abzuholen gibt’s das am Audiofluss, in Płock.
Verwendete Fototechnik: Canon EOS 1D Mark III, Canon EF 24-70 2.8L, Canon EF 85 1.2L