Urbane Ländlichkeit – Reykjavik und der Süden Islands
Wirklich lange dauert es nicht, bis man die nördlichste Hauptstadt der Welt durch- bzw. umfahren, oder aber durchlaufen hat. Im gut 200.000 Einwohner zählenden Süden/Südwesten, der Gegend rund um den Golden Circle, würde nach westlicher Definition das zivilisatorische Herz der Insel schlagen. Hier wird die Ringstraße 1 auch mal zweispurig und selbst im Stau zu stehen ist durchaus möglich. Entspannung davon findet man unweit des internationalen Flughafens, wenn man in das Abwasserbecken eines Geothermalkraftwerks steigen kann.
Wahrzeichen hat die isländische Hauptstadt viele. Sei es die weithin sichtbare und streng anmutende Hallgrímskirkja, der schrullige Schafskopf Drive-In für mitternächtliches Svið oder aber das viel besuchte stählerne Sólfar, das Monument zu Uhren der Sonnenfahrer. An letzterem und dessen herrlich geschwungenen Linien kann man sich gar nicht satt genug sehen, geschweige denn aufhören den Auslöser zu drücken :-)
Der Südwesten ist zugleich aber auch die teuerste Region des Landes. Hier kann man schon mal 26 Euro für eine Pizza hinlegen, während noch die Kehle vom letzten Verhuster kratzt, als es hieß, 7 Euro für ein Bier zahlen zu müssen. Die Isländer liegen in Sachen Kaufkraft inflationsbereinigt und nach Abzug von Energie- und Mietkosten an Platz 4 der Weltrangliste was die Nettoeinkommen angeht. Deutschland rangiert an Position 17. Jenen finanziellen Vorteil sieht man vielerorts an großspurigen Geländewagen und halt astronomisch hohen Preisen in der Gastronomie und Hotellerie. Von Reykjavik bis Vik kann man schnell 30-40 Euro pro Nacht loswerden. Exklusive Frühstück und im eigenen Schlafsack versteht sich.
In der Hauptstadt startet die auch die Golden Circle genannte Route, die die Touristen zu den wichtigsten Sehenswürdigkeiten des Landes führt. Dazu zählen der Namensgeber aller Springquellen Geysir, der regelmäßig ausbrechende Strokkur und die Thermalquelle Blesi, als auch die Thing-Stätte Þingvellir sowie der Gullfoss.
Die Golden Circle Route ist spürbar touristischer als der Rest des Landes. Am Geysir trifft man sogar die üblichen Verdächtigen in Sachen Merchandising; also Geysir die Postkarte, Geysir das Baseball-Cap, fehlt nur noch Geysir die Frühstücksflocken. Das hat man im Rest des Landes nicht. Nichts desto trotz ist es schon ein beeindruckendes Schauspiel, wenn der regelmäßig ausbrechende Strokkur tief im Erdinneren spürbar grollend gluckert, das Wasser hin und her schwappt, sich kurz zurück zieht, um dann mit einer kräftigen, teilweise 20 Meter hohen heißen Fontäne zu explodieren.
Der Süden unterscheidet sich hinsichtlich der Vegetation stark vom eher moosigen Norden. Fährt man auf der 1 gen Osten und speziell zwischen Selfoss und Vik, dann wird man knapp hinter Reykjavik von der Flut saftig grüner Wiesen geradezu erschlagen. Neben weitläufigen Koppeln für die Isländer-Pferde trifft man hier auch die eine oder andere Herde Kühe an. Zumindest der Anblick Letzterer ist etwas, das man im Norden/Nordosten des Landes vergeblich suchen würde.
Entlang der Ringstraße 1 hat man die Chance zwei weitere, einfach zu erreichende Wasserfälle zu bestaunen. Zum einen der schon von weitem sichtbare Seljalandsfoss und der etwas verstecktere, aber mächtigere Skógafoss. Beide Wasserfälle liegen in etwa auf der Hälfte der Route Reykjavik-Vik. Die scharfen Klippen vor der Küste Viks sind übrigens Trolle die darauf warten ein Schiff anzufallen. Ferner ist der kleine verschlafene Ort an der Südspitze Islands für seinen ausgedehnte schwarzen Strand berühmt, der im übrigens wesentlich feiner als viele seiner weißen Artgenossen ist. Schwarze Strände gibt es viele auf der Insel. Natürliche helle Sandstrände sind hingegen ein Exot. In Rauðisandur und auf der Látrabjarg Halbinsel kann man fündig werden.
Apropos Essen und Auto fahren. Die Tankstellen in größeren Orten sind zugleich Anlaufpunkt in Sachen Verpflegung. Leider sind die Isländer in diesem Punkt aber hoffnungslos amerikanisiert. Neben dem Hamburger gibt es nur wenige Nebenrollen, die von Hot Dogs oder aber geschmacklich zu Tode frittiertem Fisch besetzt werden. Viele Tankstellen sind übrigens Automatiktankstellen, an denen ausschließlich mit Kreditkarte bezahlt werden kann. Karte rein, PIN eingeben, Endbetrag eintippen, Zapfsäulennummer eingeben und los. Nur in wenigen Ortschaften sind die Tankstellen im weiteren Sinne noch besetzt und mit Bargeld bezahlbar.
Südwestlich von Reykjavik, fast schon vor den Toren des Airports Keflavik, liegt die sagenumwobene Blaue Lagune, oder aber Bláa Lónið, wie sie von den Einheimischen genannt wird. Rein technisch gesehen steigt man in die Abwasserfluten des geothermalen Kraftwerks Svartsengi. Ein geringer Kieselsäureanteil sorgt dafür, dass das Sonnenlicht vom Wasser bläulich reflektiert wird. Das Baden im schwefelhaltigen See lindert nachweislich Schuppenflechte und andere Hautkrankheiten, während die Haut mit Mineralsalzen versorgt wird. Den Schlamm vom Grund der Lagune kann man für eine Gesichtsmaske nehmen, muss man aber nicht. Denn guckt man sich den Schlamm genauer an, dann ist er von zahlreichen menschlichen Haaren durchsetzt. Wobei dem Haupthaar Entstammendes hier eher selten anzutreffen ist… Viel angenehmer sind da die großen Bottiche mit der Silikatgesichtsmaske.
Auf der Halbinsel Snæfellsnes, genauer gesagt in der Nähe des Örtchens Stykkishólmur, in Bjarnarhöfn lebt Hildibálður, ein Bauer, der für eine isländische Spezialität berühmt, allerdings auch berüchtigt ist. Dabei dreht es sich um Hákarl, den über Monate fermentierten, sprich vergammelten und „gut abgehangenen“ Grönlandhai, auch als Eishai bekannt. Wann immer einer als Beifang ins Netz geht, ist Hildibálður zur Stelle und nimmt den Hai in seine Obhut. Für Mutige und Neugierige hat er eigentlich immer einen kleinen Happen auf Lager, den er einem mit diebischer Freude und in Erwartung einer geschmacksbedingten Gesichtsentgleisung unter die Nase reibt. Hákarl (sprich: Haukarl) kann man mittlerweile zwar schon in Dosen kaufen, nur für’s Kosten allerdings dann bis zu 30-40 Euro hinblättern zu müssen… Nee…!
Man stelle sich vor man nehme etwas festere Gelatine, packe diese am Bahnhof Zoo (Berlin) in irgendeine Ecke, lasse die Penner nen paar Monate drauf pinkeln und bewege dies dann Richtung Mundhöhle. Ein wenig glibberig, teilweise leicht bitter, derb nach älterer Urinprobe stinkend und mit einer Fischnote; so kann man sich den Geschmack vorstellen. Die Nase kann man sich ja noch zuhalten, der Nachgeschmack aber ist das wesentlich Widerlichere, ehrlich gesagt. Ein kleiner Brechreiz erzeugender, im Hals brennender Würger, den man besser sofort in Brennivin, VIEL Brennivin ertränkt. Sonderliche Chancen am Abend jemanden, geschweige denn ein Mädel kennen zu lernen, sollte man sich nach dem Verzehr nicht wirklich ausrechnen. Wenn in Mitteleuropa jemand bereits wegen eines Hauchs Knoblauch jault, dann wird derjenige angesichts von Hákarl schon auf 500 Meter reiß aus nehmen. Die „geschmackliche“ Intensität des Hákarl variiert natürlich; je nachdem wie viel Stoffwechselendprodukte der Hai im Fleisch eingelagert hatte.