Die gelbe Hölle des Ijen und die Soldaten des Schwefels

Den globalisierten Alltag zu bewältigen ist für viele Menschen zu einer überlebenswichtigen Aufgabe avanciert. Im Osten der indonesischen Insel Java, genauer gesagt im Krater des Ijen Vulkans (Kawah Ijen), ruinieren wagemutige Teufelskerle Tag für Tag ihre Gesundheit, um Unmengen hochreinen Schwefels und den damit verbundenen monetären Lebensunterhalt aus dem Krater zu fördern. In fast 2400m Höhe wird dem Vulkan das gelbe Gold abgerungen und auch für mich sollte der Besuch der Kawah Ijen mit ihrem schillernden Säuresee eine Bewährungsprobe bereithalten.

Kurz nach Sonnenaufgang wird die Straße von Banyuwangi hoch zur Kawah Ijen von hunderten Kaffeepflückern bevölkert. Auf den vulkanischen Böden gedeihen sowohl Arabica als auch Robusta prächtig. Ein paar Meter weiter oben, genauer gesagt kurz vor dem Beginn des nackten kahlen Kraterfelsens, sind ebenfalls gerade ein paar Männer aufgestanden. Sie machen es den Kaffeepflückern eben und nutzen die Gunst der frühen Stunde um sich nicht der Mittagshitze aussetzen zu müssen. Sie ziehen sich an, trinken einen Kopi (Kaffee), greifen nach einem Lappen oder einer löchrigen Atemmaske und machen sich auf den Weg zum Vulkan.

Über Nacht haben die schwefelreichen Dämpfe des Ijen den alten Zustand wiederhergestellt und der Boden zu Füßen der langen dampfenden Rohre ist wieder mit einer homogenen goldgelben Schicht überzogen. „Diese brechen wir jetzt auf“, erzählt Mohamed mit routinierter Stimme. Der kleine, ca. 1,64 Meter große Mann ist Schichtleiter, wobei das Wort Schichtleiter irgendwie nach Arbeitsschutz, Absperrungen und geregelten Verhältnissen klingt. Kawah ist indonesisch und bedeutet Krater, und in der Kawah des Ijen bedeutet Schichtleiter lediglich, dass irgend jemand ein wenig mehr Verantwortung inne hat und den Laden irgendwie koordiniert. „Zehn Tage im Monat arbeiten wir hier. Den Rest des Monats verbringen wir dann bei unseren Familien. Ich selbst lebe mit fünf Kindern in Banyuwangi„, gibt Mohamed in gebrochenem Englisch zu verstehen.

Vom Ankunftspunkt der Besucher sind es nochmal circa 3 Kilometer bis zum Gipfel. Während man gut 500 Höhenmeter überwindet bevor man die eigentliche Kraterregion erreicht, passiert man das Übernachtungshäuschen der Arbeiter, wo auch die Schwefelladungen gewogen und ausbezahlt werden. Am Krater angekommen wirkt die Szenerie gespenstisch, steht man doch vor einer riesigen, gut 1 Kilometer weiten, auf heftigste erodierten Caldera, an deren Hängen zumindest im oberen Teil jegliches Leben abgestorben ist. Die auströmenden Gase sind mörderisch und selbst vom Rand des Ijen-Plateaus aus riecht man den stinkenden Schwefel. Wirft man einen Blick durch den dichten Rauchschleier, dann erkennt man in der Ferne, tief unten im Krater kleine gelbe wandernde Punkte – die Arbeiter.

Überschaut man den Krater, dann wirkt er als stünde man auf dem Rand eines überlebensgroßen Kühlturms und die ungeheure Menge an Schwefeldämpfen tut ihr Übriges um diesen Eindruck zu verstärken. Im Südosten der Caldera steigen riesige Fumarolen in den Himmel. Fumarolen, deren Gehalt an Schwefel derart gesättigt ist, das es sich lohnt den Dampf abzukühlen und den Schwefel zur Resublimation zu bewegen. Rot wie Blut kleckert das Element mit dem Kürzel „S“ aus den Tonnen am Ende der Abkühlungsrohre. Es braucht nicht viel Zeit bis sich die rot-orange Melasse in eine steinharte gelbe Platte verwandelt. An ergiebigen Tagen können jene Schwefelbänke in den Morgenstunden bis zu stattliche 8 Meter an Dicke messen.

Der Kraterkessel des Ijen ist das Zuhause eines türkis schillernden, 1km langen und bis zu 200m tiefen Sees. Mit einem pH-Wert von weniger als 0,3 ist er einer der sauersten vulkanischen Gewässer weltweit. Mühelos verzehrt die Säure das extra aus Banyuwangi mitgebrachte Ei. Kaum das erste Mal am Rande des Sees angekommen, ruft Mohamed: „Wait Mister Flo, I have thermometer!“ Und schon dackeln die kurzen Beine in Richtung Zelt, um nach kurzem aber heftigen Kramen mit einem Thermometer zurück zu kommen und es in den See zu halten. 40 Grad… 80 Grad… 120 Grad… Als das Thermometer dann bei über 200°C anhält, sich meine Stirn runzelt und die Augen immer größer werden, wird klar, dass das Thermometer den Säuresee wohl paar Mal zu oft gesehen hat. Die eigentliche Temperatur im Uferbereich liegt bei circa 40 Grad, während die kleineren Zuflüsse in der Regel allerdings kochend heiß sind. Der Ijen befindet sich also nur im Halbschlaf und man hat das Gefühl er hält dabei ein Auge offen…

Wieder am Abbauplateu angekommen, dreht der Wind plötzlich und drückt die Dämpfe in den Krater. Meine Hände wandern automatisch zur Gasmaske und drücken diese mit aller Kraft ins Gesicht. Gierig atme ich ein und aus, doch selbst die von der Maske gefilterte Luft ist unerträglich und reißt in der Lunge. Ganz zu schweigen vom Schmerz in den Augen. Ein kurzer Blick was um mich rum passiert jagt mir einen Schreck in die Knochen. Einer von Mohameds Arbeitern versinkt im Schwefeldampf und geht zu Boden. Mittlerweile sieht man die eigene Hand vor Augen nicht mehr. Die gelben Dämpfe haben sich verdichtet, geben maximal 10-20cm Sichtweite preis. All das geschieht in wenigen Augenblicken.

Nur wenige Meter vom instabilen Ufer des Säuresees entfernt, ist Orientierung, also das Gefühl zu wissen wo oben und unten ist, mit eins der wichtigsten Dinge. Ich reiße an den Riemen der Maske, so das sie sich stramm in mein Gesicht bohrt und gehe in die Hocke. Selten war mir die Abhängigkeit von Technik, die Abhängigkeit von der wenige Millimeter dicken Plastikschicht der Gasmaske, derart bewußt. Mit kleinen Schritten taste ich mich in Richtung des Arbeiters vorwärts und fühle plötzlich den Stoff seiner Hose. Es ist nicht sonderlich schwer den kleinen Mann auf die Schultern zu nehmen. Mittlerweile sind die Dämpfe nicht mehr allzu dicht, man erkennt Helligkeitsunterschiede und ich taste mich irrlichternd im Entengang zum Licht, wie ein Insekt zur des nächtens scheinenden Lampe. Sofort sind die anderen Männer da, und Glück im Unglück, der Kerl weilt noch unter uns. Nach 2-3 Minuten Ohnmacht kommt er wieder zu sich und geht zu meinem Entsetzen wieder direkt zurück an die Arbeit………..

„Don’t say, up, back!“, gefolgt von „Lose job…“ waren die ersten zittrigen Wortfetzen die Mohamed über die Lippen kamen. Spätetens als mein Proviant in einem üppigen Apfel-Festmahl endete um den Schreck zu verdauen, war klar, dass das Erlebte unser Geheimnis bleiben wird. So oder so war es an der Zeit zu gehen, denn die 11-Uhr-Marke war schon in Sicht. Zu uns gesellten sich auch mehr und mehr Touristen, die teils mit einer einfachen Zellstoffmaske im Gesicht und auf Sandalen in den Abgrund des Kraters stiegen. „The smoke is killing me!“, die erste Reaktion eines in den Krater hinab steigenden französischen Touristen, traf den Nagel buchstäblich auf den Kopf.

Mohamed bestand darauf mir beim Tragen des Fotorucksacks zu helfen. Die kleinen braunen Augen staunten nicht schlecht als er realisierte jetzt 20 Kilo auf den Kraterrand schleppen zu müssen ;-) Was aber immer noch kein Vergleich zu den 70 bis 80 Kilogramm schweren Schwefelladungen ist, die die Arbeiter auf ihren Schultern aus dem Vulkan schleppen. Das nicht vorhandene Profil der Gummistiefel ist keine sonderliche Hilfe, wenn man den in eine steile Felswand gehauenen Pfad erklimmt. Fest steht: ein Fehltritt und man selbst als auch die Leute hinter einem haben ein ordentliches Problem. Ein letztes Mal kam der Wind und drückte die Dämpfe gegen die Kraterwand. Augenblicklich verwandelte sich die Felslandschaft in ein Meer des Jammerns. Kein Wunder, viele der Arbeiter besitzen nur einen Lappen den sie sich vors Gesicht halten. Viele Stoffetzen sind derart grobmaschig, dass sie eher zum Fische fangen denn als Atemschutz taugen.

Oben angekommen staunten die angereisten Touristen nicht schlecht als wir kichernd und in gebrochenem English-Indonesisch über Gott und die Welt redend den Kraterrand überstiegen und uns Arm in Arm auf den Weg Richtung Tal machten. Uns begleiteten die restlichen Porter, deren transportierte Schwefelladung mit 600 Rupien je Kilogramm belohnt wird. Aktuell entspricht das 4 Euro-Cent, was pro Ladung 2,80 Euro, und bei drei Ladungen am Tag ~8 Euro macht. Wenig Geld für eine Strapaze, deren finale Frucht ein z.B. achtlos angezündetes Streichholz ist. Doch das ist nur ein Anwendungsgebiet von Schwefel – für Mohamed jedenfalls verliert sich die Spur des gelben Goldes in Surabaya, wenn es aufs Schiff geladen wird.

Das Abenteuer am Ijen neigte sich dem Ende zu. Vulkanologe Heri bestaunte noch schnell meine Bilder des ausbrechenden Yasur und dann hieß es auch schon Abschied nehmen. Doch ich ging nicht ohne Mohamed noch eine bessere Gasmake, sprich meine in die Hand zu drücken. Ich brauchte sie nun nicht mehr… Einen Job, der mehr oder weniger den Tod auf Raten bedeutet, erledigt niemand wirklich freiwillig. Anders als Sklaven aber identifizieren sich die Jungs trotz aller Widrigkeiten und Gesundheitsgefahren mit ihrem Beruf. Sie wissen das sie kleine Helden sind und nicht umsonst beginnen sie zu posen, sobald auch nur der Hauch einer Kamera in Sicht kommt. Generell gesehen ist daher die Wortwahl vieler, die Arbeiter als „Sklaven“ betitelnden Berichte meiner Meinung nach nicht ganz passend.

Der Kraterrand des Ijen kann allerdings auch fest in touristischer Hand sein. Zu Hochzeiten tummeln sich dann gut und gern 200 Leute auf dem Bergkamm. Neben Flip-Flops und mangelndem Atemschutz (klinischer Mundschutz) gibt es allerdings auch Menschen, die mit einem Neugeborenen auf den Vulkan steigen………..

Der Ijen und seine Arbeiter sind ein beliebtes Fotomotiv. Allerdings sind viele der Fotos gestellt, so auch ein paar meiner Bilder. Nicht wenige Männer bekommen dafür Geld oder aber Zigaretten zugesteckt. Gern verkaufen einem die Arbeiter zapfenartig erstarrten Schwefel oder aber aus dem gelben Gold gegossene Figuren. Achtung: Es gibt wenige Airlines, und schon gar nicht die Großen, die Schwefel im normalen, geschweige denn Handgepäck akzeptieren. Außerdem dünstet das Zeug UNGLAUBLICH aus… :-)

Und sollte die Kawah Ijen mal auf der Reiseliste stehen, dann bitte nicht vergessen: man befindet sich in mehr als 2000m Höhe, die Luft ist dünner und die Schwefeldämpfe stellen nicht gerade eine zusätzliche Sauerstoffquelle dar; konditionell kann also durchaus ans Eingemachte gehen. Die Männer erzählten mir, dass sie im Schnitt jede Woche einen Touristen aufsammeln, der mit den Bedingungen nicht klarkommt. „The smoke is killing me!“

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