Spätsommer am Bosporus
Neben dem Frühjahr ist der Spätsommer eine der attraktivsten Reisezeiten um sich die Perle am Bosporus ein wenig genauer anschauen zu können. Der Mix aus Sonne, Wolken und frischer Meeresbrise bildet eine ideale Grundlage das Istanbuler Lebensgefühl sowohl tagsüber als auch in der Nacht aufsaugen zu können und Nachschlag zu verlangen.
Leicht kabbelig zeigt sich der Bosporus an diesem Donnerstagmorgen. Rund um die Galatabrücke sind wieder dutzende Menschen damit beschäftigt die soeben mit dem Nachbarn kollidierte Angelsehne wieder zu entheddern. Man mag es kaum glauben, aber die Fänge rund um den Bosporus sind alles andere als als ein Fingerhut voll Fisch. Genau deswegen sitzt Salih auch schon seit gut 8 Uhr in der früh auf der Kaimauer der Fähren Richtung Üsküdar. Vom Dröhnen der im Minutentakt einfahrenden Vapurs lassen sich die Fische wohl genauso wenig beeindrucken wie Salih. Den Angelhaken mit ordentlich Brot bestückt, angelt er nicht wenige Flossenträger aus den Fluten des Goldenen Horns.
Ein paar Meter weiter, wo sich Busbahnhof Iskeler und Galatabrücke treffen, landen die Schuppenviecher dann auch schon auf dem Grill. Der dort angebotene Fisch stammt allerdings nicht aus dem Bosporus, ihren Fang schieben sich die Angler nämlich lieber selbst hinter die Kiemen. Die am Kai festgemachten Boote sind ein einziger großer begehbarer Grill, der im Takt des Wellenschlags dutzende von Fischen durchbrät. Das auf und ab habe Einfluß auf den Geschmack, sagt man ;-) Die traditionell mit US-Pilotenbrille gekleideten Grillmeister bieten von ihren Boote aus Balık Ekmek, eine der leckersten Istanbuler Spezialitäten an. Dabei handelt es sich um gegrillten Fisch im Brot; je nach Grillstand ein teilweise recht gräten- und zwiebelreiches Geschmackserlebnis, das natürlich stilecht mit klebrig-süsser Uludağ Limonade oder aber einem Ayran begossen werden muss.
Gewürzt wird nach Geschmack mit Limettensaft, welcher auf den Tischen zu finden ist. Den besten Balık Ekmek gibt es übrigens im Untergeschoss auf der zum Bosporus und nach Eminönü zeigenden Seite der Galatabrücke. Gleich der erste Laden bietet den besten Mix aus Salat, fast grätenfreiem Fisch und natürlich Preis. Ganz zu schweigen von der Klasse Aussicht auf das Treiben im Hafen.
Ich liebe den Besuch eines Hamams: erst das reinigende Schwitzen, dann das anschließende Bad und die kraftvolle Massage auf dem heissen Stein, um dann am Ende komplett entspannt mit einer babyweichen Haut wieder seiner Wege zu gehen. Diese Erfahrung läßt sich natürlich auch in Istanbul machen, und das Angebot ist groß. Der wohl hervorstechendste und meist beworbene Hamam Istanbuls ist der Cağaloğlu Hamamı (ausgesprochen: Dscha’alolu Hamame), dessen großes Pfund das über 300jährige Bestehen und der große marmorne Innenraum sind.
Nach nunmehr zwei Besuchen läßt sich auch ein kleines Urteil bilden… Leider ist dieser Hamam maßlos überteuert. Für eine zehnminütige Massage und ein nicht mal zweiminütiges Seifen- und Rubbelbad legt man stolze 40 Euro hin, welche sich im weiteren Verlauf allerdings noch weiter aufblasen. Sowohl Peeling-Handschuh als auch der abschließende Tee, Kaffee, … sind nicht mit im Preis enthalten, und auch das Bakshish (Schmiergeld) für Masseur und Kellner stehen noch aus. Ohne Bakshish gegeben zu haben, wird man auch nicht so ohne weiteres aus dem Hamam entlassen; ein Schicksal übrigens, das merkwürdigerweise nur Touristen erfahren… Schnell landet man so bei gut 50 bis 60 Euro, was ein viel zu hoher Preis für ein derartiges auf Effizienz getrimmtes Vergnügen ist. Wenn man der einzige Gast ist, dann steht wohl niemand unter Zeitdruck. Dann allerdings trotzdem wie ein Stück Massenware behandelt worden zu sein, lässt mich nachdenklich werden…
Beyoğlu ist das Zentrum des westlichen Istanbuls. Nimmt man dieses Wort in den Mund, ist damit insbesondere das Viertel zwischen Galatabrücke und dem großen Taksim Platz gemeint. Wie eine große tropische Schlange windet sich die breite Einkaufsmeile İstiklâl durch das Meer der Jugendstilhäuser und verbindet einen der wichtigsten Plätze Istanbuls mit der Gegend ums Goldene Horn. Besonders in den Abendstunden steppt hier der Bär. Das eigentliche Highlight sind nicht die unzähligen Schuhläden, Herrenausstatter und Klamottentempel, sondern vielmehr die engen historischen Gassen in denen unter freiem Himmel gegessen, getrunken und natürlich geschnattert wird. Die sich daraus entwickelnde Atmosphäre lässt einen sofort wie Zuhause fühlen. Wenn dies dann noch durch kulinarische Höhepunkte in Sachen Meeresgetier abgerundet wird, will man aus Istanbul nicht mehr weg.
Apropos Fisch & Co., das wohl beste Seafood bekommt man in den zahlreichen Restaurants des Balık Pazarı, was übersetzt Fischmarkt bedeutet. Hier gibt es alles: gefüllte Muscheln, frittierte Muscheln, Muscheln in Oliven-Knoblauch-Öl, Shrimps, Hummer, Kalamari und auf den Punkt gegrillte Dorade oder Wolfsbarsch. Natürlich alles fangfrisch. In der sich anschließenden Nevizade Gasse kann man einer weiteren Istanbuler Spezialität fröhnen: Meze; kleine Appetithappen und Vorspeisen, die übrigens nur dann Meze genannt werden, wenn dazu Rakı gereicht wird. Letzterer wird übrigens „Rake“ ausgesprochen und kommt zur Freude der Leber auch schon mal in Krügen daher… Meze ansich sind z.B. in Knoblauch und Essig eingelegte rote Bete, oder in tomatiertes Olivenöl eingelegte Anchovis, oder eingelegte Artischocke – ach, es gibt tausende Varianten dieser kleinen Köstlichkeiten. Und jede einzelne ist es Wert gekostet zu werden.
Es ist Ramadan. Nicht alle Türken machen dieses Prozedere mit, der Großteil aber hält sich ans Fasten. Das merkt man nicht zuletzt am Straßenverkehr, wenn abends alle total genervt und gereizt vom Hunger einfach nur noch nach Hause wollen. Auch die Notaufnahmen der Hospitäler haben mehr zu tun. Dinge wie Dehydratation, Kreislauf-Kollaps, Unterzuckerung und Überfressen gehören dann leider immer zur Tagesordnung. In den meisten Restaurants wird während dieser Zeit kein Alkohol ausgeschenkt, auch nicht nach Sonnenuntergang. Und erst recht nicht an Orten wo sich in unmittelbarer Nachbarschaft eine Moschee befindet.
Die wohl interessanteste Begegnung mit dem Ramadan steht dem Mitteleuropäer allerdings des nächtens bevor, wenn zwischen 3 und 4 Uhr der Trommler durch die Gassen zieht und sowohl mit Paukenschlägen als auch Gebrüll die Leute weckt, um sich vor der Morgendämmerung noch etwas für den Tag anzufressen und danach dann wieder zu Bett zu gehen. Manchmal allerdings übertreibt der Kerl auch ein bisschen und drischt derart kräftig auf die Pauke, dass in seine Planübererfüllung diverse Alarmanlagen der umher stehenden Autos einstimmen.
Für die Dauer des Ramadans ist zwischen den Minaretten vieler Istanbuler Moscheen eine spezielle Leuchtschrift aufgespannt und im Innenhof der größeren Gotteshäuser herrscht sogar ein reges weihnachtsmarktartiges Treiben. Wer plant während der Fastenzeit Bauten wie die Süleymaniye oder aber Sultan Ahmet Moschee in architektonischer Reinstform sehen zu können, der irrt. Die Innenhöfe sind voll mit diversen Buden, die Minarette leider teilweise eingerüstet und besagte Leuchtschrift hängt über dem Gebäude.
Viele Türken müssen generell auch Samstags arbeiten. Kurz nach Feierabend sammelt mich meine Freundin Kumru in Besiktas ein. In einem völlig überfüllten Bus geht es Richtung Levent, dem Finanz- und Hochhausdistrikt Istanbuls. Dort befinden sich die erst kürzlich fertig gestellten Tat Towers, an deren Eingangstür uns ihr Vater empfängt. Es geht in das 30. Stockwerk und gut 200m nach oben. Vom ohnehin schon hoch gelegenen Leventer Hügel eröffnet sich nun eine völlig neue Perspektive – Istanbul im Panoramaformat und von oben.
Von oben erkennt man das Wirrwarr der Straßen gut, vor allem die großen 6- bis 8-spurigen Adern, auf denen sich die Autos zu hunderten aufreihen, um über die südliche, erste Bosporus-Brücke fahren zu können. Auch Sultanahmet, den Galataturm, die Minarette von Hagia Sophia und Blauer Moschee kann man im blauen Dunst erkennen, ja sogar die noch weiter weg gelegenen Inseln im Marmarameer kann man in der Ferne ausmachen. Die Tat Towers sind aktuell Istanbuls höchste Türme. Ein gewagter Bau für ein Erdbebengebiet. So auch das Marmara Projekt, eine unterseeische Bahnverbindung zwischen West und Ost, zwischen Sultanahmet und südlichen Üsküdar.