Kontinentaldrift en miniature – Der Lavasee des Erta Ale
Echte Lavaseen sind auf diesem Planeten rar gesät. Aktuell ist lediglich eine Hand voll bekannt und dann steht auch noch die Herausforderung, ob und wie man an dessen Ufer gelangen kann im Raum. In der äthiopischen Danakilsenke findet man den wohl interessantesten, schönsten und mythischsten seiner Art – den Lavasee des Erta Ale.
Langsam lugt nackter schwarzer vulkanischer Fels durch den vom Jeep aufgewirbelten, sich aber allmählich legenden Wüstenstaub. Für den Geländewagen ist hier Endstation, es geht mit Kamelen und per pedes weiter in Richtung Kraterbereich. Stoisch traben die Paarhufer durch die Mondlandschaft erkalteter Lava. Der unwegsame, spröde und teilweise messerscharfe Untergrund ringt den Tieren nicht einmal ein genervtes Augenrollen ab. Schaukelnd schleppen die Tiere Verpflegung und auch meine Ausrüstung auf den Berg. Glücklicherweise kann Fracht nicht seekrank werden.
Hat man den 613m hohen Erta Ale erklommen, eröffnet sich einem ein grandioses Panorama. Zu den Füßen breitet sich dann die gut 1,2km lange und ~500m breite Caldera des Schildvulkans aus und in der Ferne kann man ein großes Loch ausmachen, dessen oranger Feuerschein sich im Dampf vor tiefblauem Nachthimmel widerspiegelt.
Weltweit gibt es aktuell lediglich vier Lavaseen; vielleicht fünf, wenn sich neuerliche Aktivität der Vulkane auf Ambrym wieder zu dem entwickelt was sie einst mal war. Ein Preuße würde die größte Gemeinsamkeit von Lavaseen wohl mit „Man findet sie jeweils am Arsch der Welt…!“ kommentieren und in der Tat wird die unwirkliche Danakilsenke, der obere Teil des nordafrikanischen Afar-Dreiecks, diesem Spruch mehr als gerecht. Dort schütteln sich die nubische, somalische und arabische Kontinentalplatte die Hände. Nun ja, genau genommen treffen sie dort nicht aufeinander, sondern gehen vielmehr ihrer eigenen Wege. Ihre Drift reißt Afrika förmlich auf und genau am Kopf jener tektonischen Nahtstelle befinden sich das Afar-Dreieck und die Danakil. Das eine solche Region vulkanisch besonders aktiv ist, liegt irgendwie auf der Hand, das sich hier allerdings ein Viertel aller aktiven Vulkane Afrikas befindet, ist schon ein kleiner Superlativ.
Ein Lavasee steht direkt in Verbindung mit der unter ihm befindlichen Magmakammer. In welcher Tiefe sich diese genau befindet ist unbekannt. In Sachen Erta Ale zumindest gibt die mächtige Caldera Auskunft über den Durchmesser jener Kammer. Ein Lavasee ist etwas sehr fragiles und viele Faktoren müssen ihre Konstanz unter Beweis stellen, um Lava ständig an die Erdoberfläche kommen und wieder absinken zu lassen ohne dass sie dabei gänzlich erstarrt. Und das ist die nächste Gemeinsamkeit aller Seen, sie sind das Produkt einer Konvektionsströmung; einer Strömung, bei der heißes Magma bis zur Oberfläche des Sees aufsteigt, dort abkühlt und als Platte wieder absinkt, um im Erdinneren wieder eingeschmolzen zu werden, so dass der Prozess aufs Neue startet. Aufsteigendes und absinkendes Material stehen dabei im Gleichgewicht, was nicht bedeutet, dass der See immer den gleichen Pegelstand haben muss.
Als Enthusiast findet man keinen Schlaf mehr. Die Zeit vergeht wie im Fluge, und während man eben noch den Sonnenuntergang genießen konnte, deutet sich auf der anderen Seite der Hemisphäre bereits schon wieder der Sonnenaufgang an. In der ersten Nacht zeigte der See wenig Aktivität, stieg ein paar Mal auf und wieder ab, was die Lavahaut auf der Oberfläche relativ hart werden ließ. Plötzlich wird der Berg von einem markerschütternden metallisch-keramischen Knacken durchzogen. Die harten Lavaplatten wurden geteilt und sinken ab. Der gesamte See ist glutrot und strahlt mit einer mächtigen Hitze ins Gesicht. Die aus dem Krater herausspazierenden Mäuse scheint das nicht zu jucken. Keine Ahnung was die Nager dort an Nahrung finden, auf jeden Fall werden sie tagsüber von einem Falken ins Visier genommen. Es ist schon sehr surreal an einem solchen Ort komplexere Lebewesen anzutreffen.
Unter den Lavaseen dieser Welt ist der des Erta Ale durchaus etwas sehr besonderes. Während seine Artgenossen, so zum Beispiel der des Nyiragongo, sprichwörtlich kochen und kräftig ausgasen, schiebt der Erta Ale eher eine ruhige Kugel. Für Beobachter bedeutet das freie und ungetrübte Sicht auf die ca. 40m unter ihnen liegende und gut 60m durchmessende, ständig in Bewegung befindliche Gesteinsschmelze. Am Tag wirkt der See relativ trist und Sonne sowie hartes Licht lassen diesen Ort ungastlich erscheinen. In der Nacht jedoch, und noch spezieller zur Dämmerung, vereinigt sich das Universum und die Glut der Erde zu einem Schauspiel nie gekannten Ausmaßes. Dann flanieren die erkalteten Lavaplatten über den See, schieben sich zusammen, driften wieder auseinander, sinken ab und neue Lava steigt dafür empor, während sie an Rändern des Sees aufkocht und sich fauchend ihres mittransportierten Gasanteils entledigt.
In der zweiten Nacht war es mit der Ruhe vorbei. Pünktlich zur blauen Stunde wachte der See auf, begann an den Rändern aufzukochen und flutete dann den kompletten Pitkrater nach und nach mit Lavaströmen. Die Hitzestrahlung war immens und speziell an der Südseite des Pitkraters unerträglich. Selbst nach Stunden noch konnte man die innere rote Glut der neuen Lavafelder und deren Wärme wahrnehmen. Der Auslöser der Kamera musste Überstunden schieben und die Speicherkarten quollen über: Vollmond, tiefblauer Nachthimmel und ein aus sich herausgehender Lavasee. Einmalig! In jener Nacht arbeitete sich der Lavasee ca. 0,5-1m nach oben. Seine Aktivität klingt beruhigend, wie die Wellen eines ständig anbrandenden Ozeans. Genau wie das Wasser eines Ozeans kocht die Lava: Flüssig, unbändig und alles andere als zäh. Aber, es reichen nur wenige Augenblicke aus, um die Welt um 180° zu drehen. Dann wird aus der Gesteinsschmelze ein klebrig-steifer Brei.
Ein solcher Prozess ist alles andere als selbstverständlich und obwohl der Erta Ale und sein Lavasee einer der am längsten aktiven Seen der Welt ist, feite ihn das nicht Anfang der 2000er Jahre für die Dauer von fast 2 Jahren zu erstarren. Den Lavaseen der Vulkane auf Ambrym widerfuhr das gleiche Schicksal, sind aber laut neuesten Meldungen (Stand: Mitte 2009) wieder am Brodeln.
Das der Erta Ale kein Kinderspielplatz und nicht zu unterschätzen ist, bewies er nicht zuletzt mit seinem Ausbruch im Jahre 2005. Auch Anfang 2010 war Vorsicht geboten, denn die Lava flutete die erste Terrasse des Pitkraters und stand nur noch ca. 20m unterhalb des Kraterrandes. Freunden elektronischer Musik empfehle ich beim Anblick des Urfeuers der Erde sich ein paar Klängen von Jon Hopkins oder Moshic (speziell das Album Salamat) hinzugeben.
In der Danakil-Senke, genauer gesagt am Erta Ale, sind im Januar 2012 und auch im Dezember 2017 Touristen überfallen und getötet worden. Derartige Zwischenfälle, selbst ohne Todesfolge, muss man ins Kalkül ziehen, wenn man zu nah an die Grenze Eritreas gerät. In den letzten zwei Jahren haben sich im Nordosten Äthiopiens touristische Strukturen entwickelt, die sich natürlich auch darin niederschlagen, dass jeder Hinz und Kunz der Meinung ist geführte Touren anbieten zu können. Da Touristen (speziell wir Deutschen) dem Preis oft mehr Gewicht zumessen als der Sicherheit, Verpflegung, Erfahrung etc., werden oftmals Tour-Agenturen gebucht, deren Fahrer und Guides schlichtweg keine Ahnung haben, was zwar nicht zwangsläufig in einem Überfall, aber auch in einem mitten in der sengenden Wüste im Sand stecken gebliebenen Jeep ohne Wasserversorgung münden kann. Aber selbst wenn das alles stimmt, kann man manchmal einfach nur zur falschen Zeit am falschen Ort sein…