Muskelspiele mit dem Nachbarn – Die Grenzzeremonie von Attari/Wagah
Das Indien und Pakistan nicht die allerbesten Freunde sind ist weithin bekannt. Allabendlich werden am Grenzposten zwischen Attari und Wagah im Rahmen einer eigenwilligen Zeremonie die Flaggen eingeholt und die Grenze geschlossen. Ein Love Parade ähnliches Spektakel gewürzt mit einer gehörigen Prise Nationalismus, dem man sowohl als Inder, Pakistaner als auch ausländischer Tourist beiwohnen darf.
Man stelle sich vor Sowjets und Amerikaner hätten in Zeiten des Kalten Krieges Stadion-ähnliche Ränge rund um den Checkpoint Charlie aufgebaut und würden zur Belustigung aller jeden Abend unter großem Tamtam jeweils ihre Flagge einholen. So könnte man das Grenzschließungsspektakel von Attari/Wagah wohl am ehesten beschreiben. Sogar die Typen die durch die Ränge steigen und Popcorn verkaufen gibt es im übertragenen Sinne, nur das in Indien statt erhitztem Mais Zeremonie-DVDs von fragwürdiger Qualität versucht werden an den Mann zu bringen.
Nachdem man einige unsinnige Security Checks passieren muss – unter anderem müssen hunderte von Menschen durch einen einzigen Metalldetektor laufen der natürlich dauernd piept während die Grenzer stehen gelangweilt und tatenlos daneben stehen – biegen die ausländischen Touristen vor Erreichen des Haupttors links ab und gelangen so zu einer vorgelagerten Tribüne. Bevor die Zeremonie beginnt, rennen dutzende Inder fahnenschwenkend und Parolen skandierend die Grenzstraße entlang, tanzen dort sogar ausgedehnt, was irgendwie an eine Love Parade im Grenzstreifen erinnert. Diese Szenerie wird lediglich von den alles und jeden anpfeifenden Militärs begleitet, denen man jeden Wunsch und Gedankengang von der Trillerpfeife ablesen darf…
Dann startet das ca. 15 minütige Spektakel, das auf beiden Seiten der Grenze von einem professionellen Anheizer im ballonseidenen Jogginganzug kommunistischer Produktion (was den Herren stark an Adi erinnern ließ) ins Rennen geschickt wird. Zuerst wird das bereits geschlossene Tor zum Zwecke der Show wieder geöffnet, dann laufen zwei Damen gefolgt von diversen Soldaten in einer Art halbem Stechschritt und mit der Ästhetik einer ferngesteuerten Videospielfigur auf die Grenzlinie zu, tauschen dort mit der Gegenseite diverse Grüße und High Kicks aus, um anschließend die Flagge einzuholen, das Gatter erneut zu schließen und dann ist der Spuk, der Militärexperten wohl eher an der Glaubwürdigkeit beider Armeen zweifeln lassen würde, auch schon wieder vorbei.
Glücklicherweise schwingt bei dieser Zeremonie ein wenig Selbstironie und humoristische Eigenwilligkeit mit, denn man sollte nicht vergessen, dass das Verhältnis beider Staaten zum Teil auch auf gegenseitiger nuklearer Abschreckung besteht. Liebe Inder, setzt Eure Leute doch einfach auf etwas Fahrbares und ihr habt im Handumdrehen eine ernstzunehmende, alles anhupende und umnietende Waffe, effektiver als eine Atombombe jemals sein könnte ;-)