Schwimmstufen – Der Brunnen von Abhaneri
Der Stufenbrunnen Chand Baori in Abhaneri ist alles andere als ein Treppenwitz. Seine ungewöhnliche Bauweise garantiert den normalerweise in Trockenheit lebenden Rajputen im Grunde das ganze Jahr über einen Wasservorrat und die vielen Treppen sorgen dafür, dass die Menschen auch von jeder Seite an das kostbare Nass gelangen können. Betrachtet man nur seine Architektur, dann fühlt man sich wie im Spiegelkabinett der tausend Stufen, sondern erkennt die Schönheit Shivas und die damit eng verbundene Verehrung der wichtigsten Elemente des Lebens.
Abhaneri ist ein kleines und auf den ersten Blick unscheinbares Dorf das im Windschatten der Großstadt Jaipur seine eigenen Kreise zieht. Ist man in Jaipur eingekehrt, so ist die nur 100 Kilometer im Osten liegende Siedlung mit ihrem Stufenbrunnen, von den Einheimischen auch Chand Baori genannt, allerdings definitiv einen Tagesausflug wert, denn eine derart gelungene und fesselnde Vereinigung von Symmetrie und klassischer Hindu-Architektur findet man selbst im Mutterland der Hindus nicht gerade an jeder Ecke.
Die schier endlos anmutenden Verflechtungen von Treppen und Stufen gewährleistet, dass viele Menschen von allen Seiten und zu allen Wasserständen Zugriff auf das kostbare Nass haben. Trotz der offenen Bauweise hat der Brunnen sein eigenes Mikroklima. So ist es am Boden gute 5-6 Grad kühler als in der sengenden Sonne Rajasthans. Dort regnet es übrigens selten und so versteht sich der Brunnen trotz konischer Bauweise nicht unbedingt als Auffangtrichter. Das am Boden befindliche Wasser sickert eher von der Seite und durch den Boden herein, ist also Grundwasser, das das durchlässige Gestein der Treppen passiert und dabei sogar noch einmal gefiltert wird. Heutzutage füllt sich der Brunnen nur noch während des Monsuns, also im Juli. Dann erreicht das Wasser den unteren Zaun, steigt also um gute 2-3 Meter an.
Das dunkle, poröse aber dennoch sehr stabile Gestein ist vulkanischen Ursprungs und der Kontrast zwischen heller Fuge und finsterem Fels gibt diesem Ort das gewisse außerirdische Etwas, ein die Symmetrie zusätzlich unterstützendes monochromes Element. Das Portal an der Kopfseite beinhaltet Abbildungen des elefantenartigen Wassergottes Ganesha und beherbergte auch Waschmöglichkeiten, so auf der linken Seite die Räume für die Herren, rechts logischerweise die für die Frauen.
Der 1200 Jahre alte Brunnen ist ein indisches Monument erster Klasse und steht auf einer Stufe mit Fatehpur Sikri oder dem Taj Mahal. Dank der örtlichen Behörden durfte ich exklusiv die Gitter überwinden und den Brunnen in Augenschein nehmen; Touristen dürfen für gewöhnlich nur vom oberen Geländer aus in die Tiefe schauen. Trotz dieser Limitierung ein Ausflug nach Abhaneri definitiv wert in Angriff genommen zu werden. Je nach Verkehrslage an den unterwegs befindlichen Mautstationen braucht man von Jaipur aus ca. 2 bis 2,5 Stunden.