Göttliches Vārānasi – Zum Himmel hoch stinkend
Vārānasi, die Millionenstadt am Ganges, ist eine der ältesten Städte Indiens und Zentralheiligtum des Hinduismus. Keines der Indien-typischen Bilder ist weltweit wohl so bekannt wie die Ghats genannten Flussufer und die sich dort im Ganges waschenden und betenden Hindus. Es gibt kein besseres Spiegelbild der Hindu-Gesellschaft als diesen Fluss. Für viele von ihnen ist Vārānasi definitiv der heiligste Ort der Welt, einige wenige allerdings missbrauchen dies und schöpfen das Potential den Glauben ausbeuten zu können rücksichtlos aus.
Das Leben findet vor allem am Fluss statt. Es ist daher keine sonderliche Überraschung, dass die wohl größte Attraktion die Bootstouren entlang der Ghats sind. Jedes Hotel hat sie für mehr oder weniger kleines Geld im Angebot. Der Vorteil kleinerer Hotels liegt darin nur kleine Boote chartern zu können, was für Reisende trotz Hochsaison automatisch ein klein wenig mehr Intimität an Bord bedeutet. Die Fahrt auf dem Fluss kann aber auch schnell zu einem stirnrunzelnden Praxissemester in Sachen menschlicher Anatomie und deren Verwesungsgraden avancieren, wenn das Paddel am frühen Morgen auf nüchternem Magen einen noch mit Fleischfetzen behafteten, halben menschlichen Brustkorb ans Tageslicht fördert. Viele Hindus lassen sich am bzw. im Ganges bestatten, der Reise ins Nirwana wegen. Armes Nirwana, was dir da so alles von deinen Anhängern mit dem Lauf des Flusses entgegen geschickt wird.
Allabendlich findet am Dasaswamedh Ghat um 18:30 Uhr die Zeremonie Ganga Aarti statt, bei der Weihrauch und offenes Feuer von mittlerweile professionellen Darstellern zum Klang der Glocken und Sitare durch die Luft jongliert wird. Die Blicke der sich untereinander abstimmenden, Trance vortäuschenden „Priester“ verraten, dass der als heilige Zeremonie verkaufte Abend nichts weiter als eine professionelle Show ist die genauso viel Glaubwürdigkeit aufweist, wie die in amerikanische, russische und NVA-Monturen gezwängten „Soldaten“ am Berliner Check Point Charlie.
Die Touristen, seien es Inder oder aus der Fremde, zieht dieses Spektakel dennoch zahlreich an. Sowohl zu Sonnenauf- als auch -untergang ist der Fluss jeweils gespickt mit Booten und das obwohl man in Ufernähe von den Mücken geradezu aufgefressen wird. Ein anderes gern angenommenes Vergnügen sind die morgendlichen Yoga-Kurse, bei denen der Guru seine Kommandos über das gesamte Kedar Ghat schreit.
Von den Leichenverbrennungen sieht man außer den wenig einladend wirkenden Krematorien-Ghats nicht viel. Der Leichnam wird ins Holz eingebettet und ist obendrein in ein Tuch gewickelt. Selbst der für derartige Verbrennungen übliche Gestank hält sich in Grenzen, da der Geruch des brennenden Sandelholzes alles überlagert. Die Scheiterhaufen sind de facto rund um die Uhr am Lodern, denn in Vārānasi zu sterben und dem Ganges übergeben zu werden, bedeutet für Hindus der Mühle der Wiedergeburt entkommen zu können.
Der Tod ist kein Tabuthema und die Verbrennungen öffentlich. Ein Foto wiederum ist ein Dokument. Beides lässt sich vom ethischen Standpunkt aus durchaus vereinen und vertreten. Was schlussendlich zu sehen ist, bzw. zu sehen sein darf bestimmt der Fotograf. Allzu auffällig sollte man die Verbrennungen allerdings nicht fotografieren, da man sonst auf dem Radar einer Art Mafia landet, die einen egal an welchem am Ufer in Empfang nimmt und mit körperlicher Gewalt um Geld erleichtert.
Touristen werden allerdings auch anderweitig nach Strich und Faden verarscht und ausgenommen und das zu 99% immer unter Anwendung des Arguments sich in der heiligsten Stadt der Welt zu befinden. Die Abzocke beginnt bei „Stadtbesichtigungen“ die in einem Verkaufsgespräch für überteuerte Seide oder Gewürze enden – charakterstarke Menschen können das jedoch schnell abmoderieren – bis hin zu, und das ist wesentlich schlimmer, hotelseitig angebotener Prostitution. Die erschütternde Frage, ob man als allein reisender Mann nicht Lust auf eine Inderin hätte, alterstechnisch wäre 15 von 50 alles möglich, lässt wohl keine Zweifel mehr offen.
Die Stadt selbst ist nicht minder „sauber“ als jede andere indische Großstadt, im Gegenteil, denn auf den Straßen und in den Gassen gesellen sich diverse Kuhfladen hinzu. Es wird zwar hier und dort gekalkt, bei einem von der Sonne aufgeblähten menschlichen oder tierischen Kadaver (Wasserleiche im Ganges, bzw. tote Kühe und Kamele auf den Straßen) hilft das allerdings auch nicht mehr viel. Das Tüpfelchen auf dem i waren allerdings diejenigen, die an den Ghats und in den Straßen am heller lichten Tage ihre Hose runterließen und ihr Geschäft verrichten mussten, ihr großes Geschäft.
Nichts spricht dagegen einen Fluss und das Lebenselixier Wasser im Sinne einer Gottheit anzubeten. Im Gegenteil, es ist genau die Art der Verehrung und Wertschätzung, die in unserer Subkultur des achtlosen Konsums definitiv fehlt. Warum nur wird dieser Fluss dann aber so gequält? Zwar ist die Wasserqualität im Laufe der letzten 10 Jahre wesentlich gesteigert worden, die großen Städte, so auch Vārānasi, entledigen sich allerdings immer noch ihrer ungeklärten Abwässer in den Ganges, verpesten so den Fluss. Ganz zu schweigen von den Toten, die im Oberlauf des Flusses auf die Reise ins Nirwana geschickt werden, oftmals im Stück anstatt verbrannt zu Asche. Grund dafür sind die sehr hohen Kosten die eine Verbrennung mit sich bringt, es werden also nicht nur Touristen abgezockt.
In Vārānasi z.B. gibt es von insgesamt 84 Ghats drei Ufer an denen Leichenverbrennungen stattfinden (Harish Chandra, Sankatha und das Haupt-Ghat Manikarnika), zwei für arme und ein anderes (großes) für wohlhabende Menschen, und selbst das preiswerte Ghat ist für viele Hindus immer noch viel zu teuer, so dass Leichen nach wie vor in den Fluss entsorgt werden. So geht man mit keiner Göttin geschweige denn mit einer lebenswichtigen Ressource um.
Nichts desto trotz erfüllt sich für viele Reisende in Vārānasi der Traum am Ideal einer Indienreise angelangt zu sein. Zugegebenermaßen kann die morgendliche Bootsfahrt auf dem Ganges trotz der zuvor beschriebenen Negativseiten und entgegen touristischer Okkupation, die minutiös jeden Quadratmillimeter des Flusses zu dokumentieren scheint, zu etwas sehr Romantischem und einer authentisch-intimen Erfahrung in Sachen spirituell-religiösem Indien avancieren. Nach logischen Maßstäben ist wenn dann einzig und allein der tiefe innige feste Glaube an die Wiedergeburt in ein besseres nächstes Leben überhaupt noch in der Lage zu erklären, warum die Hindus in derartigem Dreck leben und diese Situation akzeptieren und verschlimmern statt zu sie ändern. Sollte es Euch nach Vārānasi verschlagen, so lehnt Kinderarbeit ab! Kleine Mädchen und Jungs gehören morgens in die Schule und nicht Touristen durch die Gegend rudernd auf den Ganges.