Rabatz bei Rabaul – Der Hexenkessel des Tavurvur
Etwas weiter oberhalb der Stadt, vorgelagert auf einem Hügel, sitzt das Observatorium. Dort sieht die Welt weniger spirituell aus, dort wird die allmächtige Kraft die das Leben auf der Erde bestimmt in Zahlen festgehalten. Die Rabaul Caldera ist so viel mehr als nur der Tavurvur, sie ist ein hochkomplexes vulkanisches System. Institutsleiter Ima zeigt mir eine Grafik aus der hervorgeht, dass das Magma die Caldera zwischen April 2010 und Juli 2011 um satte 13cm nach oben drückte. Der Experte spricht dann nüchtern von Inflation, die in diesem Fall fast epische Ausmaße hat, da das Gros des Wachstums mit ca. 10cm in 2011, also in nur 7 Monaten stattfand.
Die erste Magmakammer (Harbour LVA) sitzt nur ca. 3-4km tief und hat das biblische Volumen von 30-35km³. Sie ist über einen Zugang mit einem weiteren, 12-18km tief in der Erdkruste sitzenden Magmareservoir (Mid-crustal LVA) verbunden. Wäre unsere Erde ein Ei, so stünde man an der Rabaul Caldera nur noch auf einer schwachen Stelle der Eihaut; ein Ei dessen Inneres gewaltig arbeitet und nach oben drückt… Während der seismischen Krise von 1983-85 ereigneten sich täglich bis zu 400 Erdbeben und die am Vulkan gelegene Matupit-Halbinsel (Heimat des gleichnamigen Dorfs) wurde um stattliche 1,88m angehoben.
Institutsleiter Ima entwickelte 2008 auf Basis des Algorithmus von Mori den neuen, non-linearen Algorithmus Shak3_na zur genaueren Bestimmung von Epizentren. Die Visualisierung der dadurch ermittelten tektonischen Ereignisse ergibt eine ungefähre 3D-Ansicht des konischen Gesteinsblocks in der Rabaul Caldera, der sich in Form einer elliptischen Ringstruktur äußert.
Bezieht man zusätzlich die Geschwindigkeiten der sich im Erdinneren bewegenden unterschiedlichen Gesteinsschmelzen mit ein, erhält man eine erstaunlich präzise 3D-Visualisierung des vulkanischen Systems und der Magmen unterhalb der Gazelle-Halbinsel. Es kursieren immer mal wieder Geschichten über einen gigantischen historischen Rabaul Vulkan von fast 3000m Höhe. Die geologische Beweisführung diesbezüglich ist allerdings sehr dünn, was Nairns 1995 darlegte.
Kaum das der Vulkan wieder aktiv ist, verarscht mich Jonathan, meint das ich jetzt schnell abreisen müsse da ich ja durch mein Auftauchen den Vulkan wieder erweckt habe. So etwas spricht sich schnell rum; nachher werde ich noch in kleine Stücke gehackt. Im Laufe meines Aufenthalts produzierte der Tavurvur dann wieder regelmäßige Ascheeruptionen die teilweise bis zu 4km hoch aufstiegen und selbst vom anderen Ende der Gazelle-Halbinsel, von Urara Island aus, klar zu sehen waren.
Die Explosionsenergie des Tavurvur ist beachtlich und jagt einem schon gehörig Respekt in die Knochen, wenn man gerade über die 1996 und 2007 an seinem Fuß entstandenen scharfkantigen Lavafelder wandert. Mein Begleiter Chris bemerkt auch sofort, dass seit dem Wiedererwachen am Mittwoch die Schwefelflecken an der Vulkanflanke größer und die Fumarolen im vulkanischen Umfeld zahlreicher, bzw. stärker geworden sind. Die Energie der Erde tritt nicht nur in Form des Tavurvur zu Tage. Am nördlichen Ende des Greet Harbour, der Bucht zwischen Matupit Island und dem Vulkan, sprudelt am Hot Spring genannten Küstenstreifen kochendes H2O aus dem Gestein und färbt das türkise Wasser mit den empor geförderten Schwefel-, Eisen- und Aluminiumverbindungen in den unterschiedlichsten Gelb- und Orangetönen.
Auch im benachbarten Rabalanakaia Krater kommt kochendes Wasser an die Erdoberfläche. Lange wird dieser Ort allerdings nicht mehr so bleiben wie er ist. Die gleiche isländische Gesellschaft die auch das geothermale Kraftwerk an der Krafla betreibt, hegt großes Interesse die Erdenergie am Fuß des Tavurvur anzuzapfen und im Moment sieht es so aus, als ob die Teufelskerle die 2009 rhyolitsches Magma anbohrten bald den Zuschlag bekommen dort im großen Stil geothermale in elektrische Energie umwandeln zu dürfen.
Die Gegend um den Tavurvur ist eine kleine Wüste und die Hitze befeuert kontinuierlich die Transpiration, so dass die Wanderschuhe in Geruchssphären katapultiert werden, die sonst nur einem überreifen Harzer Roller zuzuordnen sind. Dennoch sind Flipflops bei einer Vulkanerkundung tabu, denn die Lavafelder sind äußerst scharfkantig. Es ist mir ein absolutes Rätsel wie die Eingeborenen dort teils mit nackten Füssen am kochenden Wasser der Hot Spring entlang, bzw. über die Lavafelsen laufen können. Deren Hornhaut muss elefantöse Eigenschaften besitzen… Ein Grund warum die Bewohner Matupits sich dort aufhalten ist übrigens die Suche nach den Eiern der Bismarck-Hühner, oder auch Thermometerhühner genannt.
Ja, egal ob als Schnaps, Archipel, Hering oder Huhn – Bismarck lebt! Die letztere recht scheue Geflügelvariante zieht aus dem Tavurvur übrigens einen sehr eigenwilligen Vorteil. Ob nun aus Faulheit oder aus Schutz vor Fressfeinden, die Hühner vergraben ihre Eier tief im durch Erdwärme aufgeheizten schwarzen Sand. Die Gebiete mit genau der richtigen Temperatur sind unter den Vögel dabei noch heißer umkämpft als es warm von unten her strahlt, denn schließlich soll der eigene Nachwuchs ja weder unausgebrütet noch als in der Erde verbuddeltes Rührei enden. Einen Kontrahenten aber hält auch das nicht von der Brut fern: Die Einheimischen haben die Eier für sich entdeckt und bieten das blumig und leicht bitter schmeckende Gelege für 2-4 Kina auf dem Markt an.
Eine andere Lebensader der Bewohner Matupits ist die Kokosnuss. Thomas lebt nahe dem Wrack des amerikanischen Betty Bombers und ist ein Meister wenn es darum geht, die hölzerne Frucht von den Palmen zu holen. Der 63-jährige knallt dabei die Palme hoch als gäbe es kein Morgen und grüßt noch lässig während unsereins es nicht einmal über die 2 Meter Marke schafft. Den von Hitze und Vulkanasche malträtierten Wasserhaushalt mit fruchtigem Kokosnusswasser aufzufüllen und wieder in Ordnung zu bringen, ist ein Gefühl nicht von dieser Welt.
Vulkanasche. Ist der Vulkan aktiv, begräbt sie Rabaul, die Gegend um das Hotel und das Dorf Matupit regelmäßig. Die Asche ist genau wie die Chinesen einfach überall, unglaublich fein, geradezu pudrig und zementiert jede Pore deines Körpers ein. Jeder Schritt den man macht, wirbelt den grauen Staub auf. Atmet man ihn ein, spürt man augenblicklich die Aggressivität der von ihm transportierten geochemischen Verbindungen. Es ist traurig mit anzusehen, dass viele der Kinder Matupits bereits in jungen Jahren so stark husten und keuchen, wie ein Kettenraucher nach 20 Jahren Tabakkonsum.
Die Leute im Südwest-Pazifik sind teils schwer auf Betelnuss. Diese auf Palmen wachsenden, stark sauren „Früchte“ sind die örtliche Droge Nummer eins. Manchmal lähmt sie das soziale Leben komplett. An der Sub Base, sprich Cape Tavui, dem nördlichsten Punkt der Gazelle-Halbinsel angekommen, treffe ich auf George und Paul, die bereits früh um 9:00 ordentlich angeheitert sind. Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs verteidigten die Japaner diesen Fleck Erde und die Rabaul Caldera so gut, dass die Alliierten keinen Fuß auf Gazelle-Halbinsel setzen konnten. Die unzähligen, von den Japanern gegrabenen Höhlen und Gänge haben eine Länge von insgesamt 500km.
Paul nimmt sich dann auch die Zeit und kraxelt mit mir in den von den Japanern in den Fels geschlagenen Höhlen und Gängen rum. Die Rundungen in einigen der Stellungen verraten wie die Japaner damals arbeiteten. Sie benutzten Palmenstämme um eine Schalung für den Stahlbeton zu bauen. An der Sub Base landeten die Japaner in der Nacht Vorräte und Munition per U-Boot an. Dabei durchschwammen sie die erst 1985 submarine Tavui Caldera und stiegen an deren Rand, einem unter Wasser 300m steil abfallenden Hang, senkrecht auf, um dann oben die Ladung zu löschen. Ein spannender Ort an dem ein Stück unrühmliche Geschichte in greif- und fühlbare Nähe rückt.