Eine für Alle und Alle in Einer – Die U-Bahn von Warschau
Sich am Lauf der Weichsel orientierend, steuert die aus einer einzigen Linie bestehende einzige U-Bahn Polens 21 Stationen im Warschauer Untergrund verteilt auf 23,1 Kilometer Länge an und befördert dabei im Schnitt 370.000 Menschen pro Tag. Mit ihrer Inbetriebnahme im Jahr 1995 gehörte sie nicht nur zu den jüngsten Untergrundbahnen Europas sondern fand auch gleichzeitig eine seit den 1920er Jahren andauernde Planung ihr Ende, die 2008 sogar in der Wahl zur schönsten Haltestelle der Welt gipfelte. Ihr Single-Dasein wird aber wohl bald ein Ende haben, denn die Inbetriebnahme ist mit dem Testbetrieb der zweiten Linie bereits in Sicht.
Wie weltweit viele andere U-Bahnen so hat auch die polnische Untergrundbahn ein Farbkonzept. Fährt man von Norden nach Süden, von der Station Mlociny zur Station Kabaty, dann wechselt die Einfärbung der Wände von blau über grün zu braun. Blau steht für die im Warschauer Bezirk Bielany gelegenen Stationen, grün für die Bahnhöfe der Innenstadt Sródmiescie und braun für die Stopps in den südlichen Bezirken Mokotów und Ursynów.
Die Bahnhöfe selbst sind dabei von den Architekten in drei Bereiche aufgeteilt, dem öffentlichen, dem Bahnhofsbereich und dem technischen Bereich. In den öffentlichen Bereich, zum Beispiel eine Fußgängerunterführung, darf jedermann eintreten, während der Bahnhofsbereich, welcher den jeweiligen Öffnungszeiten unterliegt, den Fahrgästen vorbehalten ist. Dritter Bereich sind die technischen Anlagen, die, wie sollte es nicht anders sein, nur von Befugten betreten werden dürfen. Alle Bereiche sind optisch wahrnehmbar durch z.B. Glas- und Stahlbauelemente voneinander getrennt.
Die steigenden Fahrgastzahlen gaben bereits vor Fahrtbeginn unmissverständlich Auskunft, dass es zu normalen Tageszeiten fotografisch alles andere als leicht und eher eine Glückssache werden wird die Warschauer U-Bahn relativ menschenleer auf bekannte Weise (strikt 35mm bei Blende 1.4, freihand und nur den zeitlichen Abstand zwischen zwei Zügen zur Verfügung zu habend) abgelichtet zu bekommen.
Bis auf Centrum haben alle südlichen und auch viele der nördlichen Stationen einen oftmals sehr symmetrischen Mittelbahnsteig, während im nördlichen Teil der Strecke Außenbahnsteige das Bild prägen. Generell wirkt die Linie 1 sehr geradlinig; fährt man sie ab, kommt es einem vor als würde man schnurgeradeaus durch den Warschauer Untergrund gezogen. Natürlich gibt es ein paar architektonische Perlen die herausstechen, so z.B. der Bahnhof Plac Wilsona, welche 2008 von der MetroRail, einer der städtischen Entwicklung im Bereich Nahverkehr gewidmeten internationalen Konferenz, zur schönsten Haltestelle der Welt gekürt wurde.
Ins Fotografieren und in die Motivsuche vertieft, mache ich im Bahnhof Imielin mit einer technischen Besonderheit Bekanntschaft. In der Bahnsteigkante sind Sensoren eingelassen, die das Betreten des Gefahrenbereichs bei leerem Gleis erkennen. Tut man dies, erschrillt sofort eine eindringliche Durchsage. Ob der voran schreitenden Amerikanisierung der polnischen Hauptstadt (für mich ein schleichender Verlust der polnischen Souveränität) bin ich froh, dass es nur bei einer Ansage bleibt und man nicht von einem S.W.A.T.-Team niedergerungen und verschleppt wird (siehe Verurteilung Polens wegen CIA-Geheimgefängnissen).
Wenn es in den 1920er Jahren losging, warum hat’s so lange gedauert? Nun ja, wegen der Weltwirtschaftskrise und dem unmittelbar daran anknüpfenden Zweite Weltkrieg, der Warschau faktisch dem Erdboden gleich machte, wurden die bis dato getätigten Bauarbeiten aufgegeben und es erfolgte eine komplette Neuplanung der U-Bahn-Trasse. Neben fast 20jährigem politischen Stillstand stieß man dann, als es ans Bauen ging, wiederum auf geologische Besonderheiten des Warschauer Bodens.
Wegen Finanzierungsschwierigkeiten ging die erste und einzige U-Bahn-Linie des Landes 1995 zunächst auf nur 11,5 Kilometer ins Rennen, wurde dann aber schnell gen Norden erweitert. Im Rahmen dieser Erweiterung wurde 1998 dann auch der Warschauer Hauptbahnhof erschlossen, wo gerade mein Zug gen Berlin eingefahren ist und der mich wieder nach Hause bringt. Do widzenia Polska! Bis zum nächsten Mal :-) Wie immer entstanden alle Fotos bei Offenblende und frei Hand mit dem wunderbaren Sigma 35mm f/1.4 DG HSM Art. Die Kuppel von Plac Wilsona wurde mit dem Canon EF 16-35mm f/4L IS USM verewigt.