Flotter Dreier – Das Prager U-Bahn-Netz
Fährt einem in Prag der Zug vor der Nase weg, braucht man in Spitzenzeiten nur unglaubliche 115-150 Sekunden auf die nächste U-Bahn warten. Ein europäischer Spitzenwert, vor allem vor dem Hintergrund von nur ~1,2 Mio. in Prag lebenden Menschen. Die Züge der Pražské Metro donnern über drei Linien durch den Untergrund der Stadt und verbinden neue wie alte Bahnhöfe, welche die Geschichte der tschechischen Hauptstadt erzählen.
Obwohl man mit Blick auf Berlin und London mit den ersten Ideen für eine Untergrundbahn bereits 1898 schwanger ging, ist die Prager U-Bahn ist relativ jung, denn die jüngeren Ereignisse der europäischen Geschichte verschoben den Baubeginn auf den 7. Januar 1966, als die Prager Abendzeitung Vecerní Praha stolz verkündete: „Ein historischer Augenblick für den Prager Verkehr: der Bau einer unterirdischen Straßenbahn hat begonnen. Heute um 14 Uhr erfolgte der erste Spatenstich für die Untergrundbahn.“
Der 9. August 1967 markierte dabei einen Wendepunkt, denn die bis dato erfolgten Bauarbeiten bezogen sich allesamt noch auf ein unterirdisches Straßenbahnsystem, während die tschechoslowakische Regierung in Zusammenarbeit mit den Sowjets die Entscheidung traf eine richtige U-Bahn zu bauen. Ältere Prager sprechen daher sogar heute noch von der so genannten „Vor-U-Bahn“ und der „echten U-Bahn“ die tief im Bauch der Goldenen Stadt verkehrt, teilweise mehr als 50 Meter tief unter der Erdoberfläche.
Eben jene tschechoslowakisch-sowjetische Kooperation führte dazu, dass die Prager U-Bahn viele Gemeinsamkeiten mit der Moskauer oder Sankt Petersburger Metro aufweist. So sind zum Beispiel der Bahnhof Andel und die Züge der Baureihe Ecs ein klares Zeugnis sowjetischer Metroarchitektur und -kultur. Der älteste und damit geschichtsträchtigste Streckenabschnitt der Prager Metro verläuft parallel zur Moldau zwischen dem damaligen Bahnhof Sokolovská (dem heutigen Florenc) und Kacerov, auf der roten Linie C.
Die Konstrukteure der Pražské Metro nahmen ihre Aufgabe auf jeden Fall sehr ernst und bewahrten so sie ihren Fahrgästen trotz Kostendrucks im Fall der Teilstrecke zwischen Lužiny und Hurka das „unterirdische“ Fahrgefühl indem sie die Bahn statt bei offener Strecke und Tageslicht in einem halbgeschlossenen Tubus verkehren lassen. Dieser Tubus ist Teil der gelben Linie B, die mit aktuell 24 Stationen und 25,6 Kilometer die längste der Prager U-Bahnlinien bildet.
Während C, die rote und jüngste der Linien, relativ quadratisch-geometrisch entworfen wurde und relativ flach unter der Erdoberfläche verläuft, ist bei vielen anderen Bahnhöfen die starke sowjetische Anleihe unverkennbar: gleisführende runde Röhren, tief im Erdinneren, gerahmt von massiven Stützpfeilern, die als Eingangsportale fungieren und mit Marmor, Granit, spacigen Glasbausteinen oder aber Kupferblech verkleidet sind. Einer dieser Bahnhöfe ist Andel, wo die nahe Moldau in Form eindringenden Wassers sogar ein kleines Rinnsal durch das Gleisbett rauscht.
Womit wir beim größten Problem der Prager U-Bahn sind, Wasser und sogar Hochwasser. Das historische Hochwasser des Jahres 2002 flutete weite Teile der Metro, so z.B. war die rote Linie C genau dort betroffen, wo sie die Moldau zweifach unterquert. Für die gelbe Linie B bedeutete das Hochwasser sogar circa 50% Überflutung, da sie von Radlická bis Vysocanská Moldau-nahverläuft. Danach erholten sich die Fahrgastzahlen wieder und pendeln sich aktuell bei jährlich ca. 550 Millionen beförderten Menschen ein.
Nur die Sieger schreiben die Geschichtsbücher und so dauerte es nicht sehr lang um die einst an den Sozialismus erinnernden Termini siegesgerecht aus dem Stadtbild zu tilgen. Für die Metro war dieser Zeitpunkt am 22. Februar 1990 gekommen, als Leninova in Dejvická, Moskevska zu Andel oder Kosmonautu zu Háje umbenannt wurden. Mit dem Standortvorteil das sozialistische System persönlich kennengelernt zu haben, ist es schon ein wenig befremdlich solches Verhalten mit ansehen zu müssen, wie z.B. Ernst Thälmann aus dem Ost-Berliner Straßenbild verschwand, ohne das er jemals etwas Böses tat.
Trotz der starken Frequentiertheit der Prager Metro konnte ich selbst auf den ziemlich belebten Stationen Muzeum, Mustek und Florenc fotografisch sehr kurze Momente mit relativ menschenleeren Orten erwischen. Letztere Station Florenc liegt übrigens im gleichnamigen, auf die Bezeichnung „Florenz“ hörenden Bezirk weil König Karel IV. dort einst Italiener ansiedelte. Heute ist es u.a. Heimat der Glaspaläste von Allianz, KPMG und Hilton.
Das Umsteigen an den Spitzen des Dreiecks, geformt von den großen Prager U-Bahn-Schnittstellen Florenc, Mustek und Muzeum, ist einfach aber teilweise mit langen verwinkelten Laufwegen verbunden. Und so gehört der dieses System nur als Bermuda-Dreieck begreifende asiatische oder südeuropäische Tourist, der komplett verwirrt plötzlich irgendwo mitten im Gang, und damit im Strom der Menschen, stehen bleibt genauso zum Bild der U-Bahn, wie die langen Rolltreppen, die die Menschen vom Tageslicht in den Untergrund befördern.
Bis auf die Ansage in den Zügen der Linien A und B scheint die Prager Metro eine Männersache zu sein, denn unter all mir begegneten U-Bahnfahrern war keine einzige Frau zu sehen. Jene Ansage „Beenden Sie bitte das Aus- und Einsteigen, die Türen schließen.“ wurde vor über 30 Jahren aufgenommen und stammt von Svetlana Lavícková, einer Rundfunk-Mitarbeiterin. Für die Prager Untergrundbahn ist ihr Vers inzwischen ein genauso wichtiges Markenzeichen wie „Mind the gap!“ für London, wobei in Prags Linie C Svetlanas Ankündigung leider bereits von einer Männerstimme vertont wurde.
Das gesamte Liniennetz erstreckt sich über 59,5 Kilometer und 57 Stationen, wobei die Linie A aktuell gen Nordwesten, zum Prager Flughafen Letište Václava Havla vorangetrieben, also noch wachsen wird. Die gelbe Linie erhielt 1999 für den Bahnhof Rajská zahrada die nationale Auszeichnung Bau des Jahres. Die Besonderheit hier sind übereinander liegende Richtungsbahnsteige, sprich die Plattform für Züge stadtauswärts ist im Erdgeschoss während die Züge stadteinwärts direkt darüber im ersten Stock halten.
Die für Besucher wohl wichtigsten Stops sind Hlavní nádraží (der Hauptbahnhof), Hradcanská (von wo aus der Burgberg Pražský hrad erklommen werden kann) sowie Staromestská (dem Zugang zur Altstadt) und Mustek, was unweit des Wenzelsplatzes liegt. All jene Orte sind schön anzuschauen, die tschechische Hauptstadt hat sich herausgeputzt, sie quellen aber auch vor Touristen über, leider. Prags Segen ist zugleich sein Fluch.
Diese Fotoserie entstand in altbekannter Machart, sprich Freihand und ohne Stativ, nur mit einer Festbrennweite bei strikt Blende 1.4, wobei am Samstag von 7:30 bis 15:30 im 7-Minutentakt und am Sonntag dann noch einmal von 07:30 bis 13:30 im 10-Minutentakt jeweils nur die Zeit zwischen zwei aufeinanderfolgenden Zügen fürs Fotografieren zur Verfügung stand.