Lissabon – Straßenbahnen und Seafood
Um die Metropolitano de Lisboa zu dokumentieren, verschlug es mich im Rahmen meines U-Bahn-Fotografieprojekts in die portugiesische Hauptstadt. Witziger und unbewusster Weise buchte ich den Flug so, dass genau 8 Jahre vergingen eh ich Lissaboner Boden zum ersten Mal betrat. Ein guter Zeitraum , der sowohl Vergleiche zu- als auch Entwicklungen erkennen lässt. Die Perle am Tejo ist nach wie vor ein Juwel, das mit einer ganz speziellen Mischung aus Alt und Neu die Herzen erobert und wer auf historische Straßenbahnen steht, der wird sich wohl genauso im Himmel wähnen wie Liebhaber moderner Architektur im Parque das Nações, der Heimat des weltweit einzigartigen Oceanarios.
Die vier pittoresken Linien, das gesamte Netz der einzigen U-Bahn Portugals, waren relativ schnell abgefahren und fotografiert. Nach der uniformen Wüste der Madrider Metro endlich mal wieder eine Untergrundbahn, die optisch überzeugt und den Beweis antritt, dass ein System von Seitenbahnsteigen durchaus visuell verführen kann. Zugang zu nahezu allen öffentlichen Verkehrsmitteln erhält man durch die Viva Viagem Karte, die man am Automaten zunächst kauft und dann mit dem gewünschten Ticket auflädt.
Mit jener Karte kann man auch die pittoresken Straßenbahnen benutzen, unter ihnen die legendäre Eléctrico 28, die die Hauptstadt von West nach Ost durchquert und auf deren Route man ein Exzerpt der Perle am Tejo – „Lisbon in a Nutshell“, wie die Anglophonen so sagen – serviert bekommt. Verlässt man die Tram mit der Nummer 28 am Praça do Comércio oder die Metro an der Station Rossio, dann sieht man über den Dächern bereits das erste große Highlight thronen, den Elevador de Santa Justa.
Elevadores, das sind die Standseilbahnen und groß angelegten Personenaufzüge der Stadt. Denn obwohl an der Küste gelegen, ist Lissabon auf Hügeln erbaut und es gilt ein paar solide Steigungen zu meistern. Um den niedriger gelegenen Rossio und Stadtteil Baixa mit der Oberstadt, speziell dem Bezirk Chiado zu verbinden, wurde der Elevador de Santa Justa von einem Schüler Gustave Eiffels erbaut. Aktuell (2015) erfährt er eine Restauration.
In den Travessas genannten schmalen Seitengassen Chiados steppt abends der Bär, wo eine Heerschar von Bars und Restaurants buhlt um die Gunst der Flanierenden. Und wenn man nicht auf eine Pest der Neuzeit trifft, den auf Druckbetankung zielenden lärmenden Pub Crawl, dann kann man dort eine herrliche Melange aus Vinho Verde, bestem Fisch und Meeresfrüchten nebst Konversation und musikalischer Untermalung genießen.
Anders als in Brasilien, wo Emotion und Hilfsbereitschaft oft einfrieren wenn den Lippen auch nur ein Wort Spanisch entfleucht, ist in Lisboa Spanisch weithin verstanden und gesprochen, und auch Englisch ist kein Problem. Die Hauptstadt Portugals heißt seine Besucher damit mehr als herzlich willkommen.
Mit dieser Kommunikationsbereitschaft im Rücken kann man abends rund um Cais do Sobre und Praça do Comércio herrlich am Fluss sitzen, mit den Einheimischen schnattern während man der untergehenden Sonne zuschaut, wie sie die monumentale Ponte 25 de Abril, eine die getrennten Ufer verbindende Brücke im Stile der Golden Gate, in Szene setzt. Erinnerungen an Istanbul werden wach, auch weil es in Lissabon leider keine durchgehende Uferpromenade gibt.
Etwas außerhalb, genauer gesagt westlich des Stadtkerns, wo der Tejo den Atlantik berührt, wacht der Torre de Belém genauso über die ein- und auslaufenden Schiffe wie das Denkmal der Entdeckungen, das weltweit bekannte Padrão dos Descobrimentos zu Ehren von Teufelskerlen wie Vasco da Gama oder Bartolomeu Dias, deren entdeckerisches wie nautisches Ehren eigentlich im gesamten Stadtbild wiedergefunden werden kann, z.B. als Mosaik neueren Datums in der U-Bahnstation Oriente.
In Lissabon prallen allerdings auch heftige Gegensätze aufeinander. Nur wenige Meter von Läden die Weine für 620 Euro oder aber Anzüge aus feinstem Vitale Barberis Canonico Tuch anbieten, finden sich ob der Touristenzahl auch Kriminelle ein. So kann man problemlos am helllichten Tag Drogen erwerben, man wird auf der Straße sogar offensiv daraufhin angesprochen… Auch waren die üblichen Ablenkungsmanöver, um ein Portemonnaie zu klauen oder den Inhalt einer Tasche zu erleichtern sind an der Tagesordnung. Das ist im Jahre 2015 genauso der Fall wie schon 2007.
Die wohl großartigste Institution der Stadt, vielleicht sogar des Landes, ist das weltweit zweitgrößte Aquarium (Oceanario). Mühelos kann man einen halben Tag zwischen Nemo (Anemonenfischen) und Seepferdchen, Pinguinen und Stachelrochen verbringen und selbst Exoten wie der einzigartige Mondfisch oder Riffhaie können bestaunt werden. Die Nase des Mondfisches verrät aber sein abnormes Verhalten in Gefangenschaft. 2007 war sie noch nicht wund, mittlerweile ist sie es, was dem phlegmatischen Schwimmen im Kreis und Aufprallen auf die Aquariumwand geschuldet ist.
Mittlerweile erwartet den Besucher neben der ständigen Ausstellung auch eine temporäre, in meinem Fall die Installation „Unterwasserwald“ bzw. „Florestas Submersas“ des japanischen Fotografen Takashi Amano. Da mir Plastik generell auffällt und dies 2007 nicht der Fall war, wurden im Oceanario wohl viele echte Pflanzen wie Kelp gegen Kunststoffvarianten ausgetauscht.
Im Lauf der Jahre ist das Aquarium ein echter Magnet geworden, der pro Jahr mehrere Millionen Besucher anzieht und auch das ehemalige EXPO-Gelände, wo der berühmt-berüchtigte, heiß diskutierte EU-Vertrag von Lissabon geschlossen wurde, hat hinzugewonnen. Mittlerweile gibt es ein paar gute Restaurants am Ufer des Tejo, mit Blick auf die eeeeeewig lange Ponte Vasco da Gama, die mit ~17,2 Kilometern eine der längsten Brücken der Welt ist.
Moderne Architektur ist oft auf Funktionalität, verkörpert durch Glas und Stahl, ausgerichtet. Oftmals bleibt dabei architektonischer Charakter und die Seele des Städtebaus auf der Strecke. Im Park der Nationen (Parque das Nações) ist das anders. Selbst der nackte Sichtbeton der Bahnstation Oriente passt ins Gesamtbild des Stadtteils Moscavide, wo sich Stararchitekt Santiago Calatrava mit seiner Liebe zu maritimen Themen austoben konnte. Mit am imposantesten ist das große, einer Jakobsmuschel nachempfundene Dach und Segel, das den östlichen Ausgang des Oriente-Bahnhofs überspannt.
Mit weiteren Highlights wie dem Hieronymus-Kloster (Mosteiro dos Jerónimos), dem Palácio de São Bento, sowie der Jesus-Statue (Cristo Rei) und dem Castelo de São Jorge ist noch lange nicht Schluss und mein dritter Besuch vorprogrammiert. Dieser Artikel beinhaltet Bildmaterial aus dem September 2007 sowie September 2015.