Auschwitz – Des Menschen dunkelste Seite
Am 27. Januar 1945, ergo vor 71 Jahren, befreite die Rote Armee den Lagerkomplex von Auschwitz. Der Name dieser südpolnischen Stadt steht seither stellvertretend für eines der größten Gräuel der Menschheitsgeschichte und für die hässlichste Seite der Fratze namens Krieg.
Auschwitz – Arbeit macht frei!
Der große Egon Bahr sagte kurz vor seinem Tod, dass wir in einer Vorkriegszeit leben. Diese Sicht der Dinge teile ich, denn wenn man genau hinschaut sieht man, wie von einigen Wenigen schon wieder der große Fleischwolf in Position gebracht wird. Selbsterhöhung, Missgunst und Gier wohnt dem menschlichen Wesen inne, Krieg vermag die Entfesselung dieser. Eines der grausamsten Zeugnisse dessen ist das Konzentrationslager Auschwitz sowie das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau; ein Mahnmal, das jeder Mensch einmal gesehen haben sollte.
Die südpolnischen Städte gefallen mir. Egal ob Wroclaw oder Krakau, viele der ehemaligen Perlen Schlesiens erstrahlen heute wieder in dem Glanz, der ihnen früher einmal inne wohnte. Früher bedeutet nicht nur vor dem Kommunismus, sondern vielerorts sogar vor 1939, vor dem Zweiten Weltkrieg. Die ehemalige Königsstadt Krakau mit Sitz an der Weichsel war Schauplatz eines Pogroms an den Juden und es ist die Weichsel, deren Verlauf uns weiter stromaufwärts, an der Einmündung der Sola, nach Oświęcim bringt, einer Stadt in der das Unfassbare begangen wurde.
Was muss das für ein Gefühl sein einer der ca. 40.000 Einwohner zu sein, die in direkter Nachbarschaft zu einem der beklemmendsten Orte Europas leben. Auschwitz, das global bekannte Synonym für den industriell organisierten Massenmord an Hunderttausenden. Auschwitz, das global bekannte Synonym für ein Konzentrationslager in dem unter schlimmsten Zuständen gelebt werden musste. Auschwitz, ein Name der für viele Menschen in erster Linie für das zweite Lager, das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau steht.
Zwischen 1940 und 1945 betrieb die kurz „SS“ genannte Schutzstaffel Hitler-Deutschlands dort den Lagerkomplex Auschwitz, der neben Auschwitz I, mit dem weltweit bekannten „Arbeit macht frei“-Schriftzug über dem Haupttor, auch diverse Nebenlager für Zwangsarbeiter und das Vernichtungslager umfasste. Die Polen haben diesen Orten des Todes neues Leben eingehaucht. Leben in Form von weltweit herbeiströmenden Besuchern, die dieses Mahnmal der jüngeren europäischen und dunkelsten Kapitels deutscher Geschichte kostenfrei besichtigen dürfen, insofern keine Führung gewünscht ist. Danke dafür, Polska!
Nach mehreren Tagen ununterbrochenen September-Regens zeigt sich endlich wieder die Sonne über Südpolen. Doch der Schein trügt. Ausgedehnte Eiswolkenfelder huschen über den Himmel Schlesiens und so entspricht die Temperatur nicht wirklich dem sonnigen Eindruck. Das Spiel zwischen Licht und Schatten des Zentralgestirns, blauem Himmel und weißen Wolken, trügt, denn die Hauptrolle spielt der eisige Wind, der wie der kalte Hauch der Geschichte über das Gelände des ehemaligen Vernichtungslagers weht und der einen herbstlich-unterkühlten Vorgeschmack auf jene Zustände gibt, die einst hier im Winter herrschten.
Die Ruinen des Vernichtungslagers
Der Wind lässt auch den Turmfalken, der zwischen den Baracken Jagd auf Nagetiere macht, in der Luft stehen als sei hier nie etwas passiert, als sei alles in bester Ordnung. Er bringt am westlichen Ende von Auschwitz-Birkenau aber auch die Birken zum Wiegen, deren raschelndes Laub entfernt an das Getuschel menschlicher Stimmen erinnert, genau dort, wo die großen Gaskammern und Krematorien standen die den Tod für Hundertausende brachten.
Das Lager wurde zwar bereits 1940 errichtet, die Massendeportation und industriell organisierte Vernichtung von Menschen lief aber erst im Frühjahr 1942 an. Wenn man bedenkt, dass die Rote Armee das Lager im Januar 1945 befreite, verbleibt folglich eine Kernzeit von 3 Jahren in denen der Großteil der Morde stattfand. Die Opferzahlen schwanken je nach Quelle, aber bleiben wir bei der Darstellung des Staatlichen Museums Auschwitz von 1,3 Millionen in Auschwitz getöteten Menschen. So schlimm es ist, aber die Zahl von 1,3 Millionen Ermordeten verteilt über 3 Jahre klingt für die meisten Menschen eher statistisch und wenig greifbar. Um es (be-) greifbarer zu machen bedeuten 1,3 Millionen Tote verteilt über 3 Jahre:
pro Jahr 433.333 Morde
pro Monat 36.111 Morde
pro Tag 1.204 Morde
pro Stunde 50 Morde
Das bedeutet faktisch 3 Jahre lang ununterbrochen nahezu ein Mord pro Minute, wohlgemerkt nur in Auschwitz und ohne die anderen Vernichtungslager und Gräueltaten mit einzurechnen. Diese mathematische Darstellung ist nüchtern, rückt aber den menschlicherseits überblick- und wahrnehmbaren Zeitraum von einer Minute in den Fokus des Geschehens und macht den millionenfachen Tod begreifbarer.
Vor Beginn des Massenmordes war das Lager Auschwitz I, das sogenannte Stammlager, Dreh- und Angelpunkt der Internierung. Auch hier fanden tausende Menschen den Tod, wovon nicht zuletzt der Innenhof zwischen den Blöcken 10 und 11 zeugt, wo Häftlinge vor eine Wand gestellt erschossen wurden. Auch Auschwitz I besaß in einem umgebauten Munitionsbunker eine Gaskammer nebst Krematorium. Die dort zur Schau gestellten Öfen sind Rekonstruktionen, zwischen ihnen und der alten Gaskammer aber frei umherlaufen zu dürfen, wo einst tausende Menschen bestialisch ermordet wurden, jagt einem eiskalte Schauer über den Rücken.
Das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau diente auch dem Ausplündern der Leichen. Zahngold, Haare, Brillen – alles wurde im so genannten Effektenlager „Kanada“ gelagert bevor die Leichen der zuvor vergasten Menschen zur Einäscherung freigegeben wurden. Die Handhabung der Leichen, das Plündern und Einäschern musste von Lagerinsassen erledigt wurden. Die SS machte sich die Hände nur selten direkt schmutzig. Schreibtischtäter trafen auf Befehlsempfänger, und so sind die Freigabescheine zur Einäscherung im Museum Auschwitz I ebenso ausgestellt, wie Winterdecken gewebt aus menschlichem Haar und das für den Massenmord eingesetzte Giftgas Zyklon B.
Einige der ausländischen Besucher aber erzeugen starkes Befremden. Aber nein, es liegt sicherlich an mir es als respektlos zu empfinden mit ansehen zu müssen, wie sie sich gegenseitig im Lagerkomplex fotografieren als machten sie Urlaub auf Mallorca. Und es liegt sicherlich auch an mir es als respektlos zu empfinden mit ansehen zu müssen, wenn sie dumm-grinsende Selfies unter dem Haupttor von Auschwitz I, mit dem Schild „Arbeit macht frei“, schießen während sie mit ausgestreckten Armen und Duckface posieren als stünden sie irgendwo am Besäufnisstrand. Leider ist nicht von Jugendlichen die Rede sondern oft von erwachsen aussehenden Menschen, deren Akzent in den meinerseits beobachteten Fällen eindeutig eine anglo-amerikanische Herkunft erkennen lässt.
Auschwitz ist die extreme Ausgeburt von Antisemitismus. Es entsprang der Ideologie einiger Weniger die es vermochten, eine breite Masse zu infizieren, zu blenden, zu instrumentalisieren und kontrollieren. Abweichler wurden brutal bestraft. Es gab sicherlich viele Mitläufer die aus Selbstschutz letztlich nur Befehle ausführten, aber bei genau diesem Argument „I am only doing my job“, fängt Unterwerfung an; klein, aber es ist ihr Beginn. Wehret den Anfängen! Auschwitz ist aber auch ein Zeichen gegen wie auch immer geartete Unterwerfung von Menschen, gegen die Instrumentalisierung von Menschen, gegen die Entmenschlichung von Menschen durch Menschen. Moderne Kommunikationsformen wie Email & Co. fördern diese Entmenschlichung. Man spricht nur noch mit einem User anstatt persönlich. Lasst Euch nicht unterwerfen, nicht instrumentalisieren, nicht entmenschlichen, scheint es förmlich durch die Gänge zwischen den reihenhausartigen Blöcken des KZ Auschwitz I zu schreien.
Auschwitz ist die extreme Ausgeburt von Antisemitismus. Der Vollständigkeit halber muss aber auch erwähnt werden, dass trauriger- und ironischerweise genau das Volk, das mit 90% die meisten Todesopfer zu beklagen hat, heute leider alles andere als un-antisemitisch agiert. Die teils aggressive Siedlungspolitik Israels ist jedem bekannt, und wer schon mal miterlebt hat, wie 18-19jährige israelische Soldaten, also junge Menschen, einen Araber/Palästinenser an einem Grenzübergang behandeln, und welche israelische Hasskultur im Internet gegenüber Arabern gepflegt wird, der wird sich zwangsläufig die Frage stellen, ob die jüdischen Nachfahren, trotz berechtigter Geißelung der Nazi-Diktatur, aus der Geschichte gelernt haben, wenn sie sich mit den Methoden des Antisemitismus auf eine Stufe stellen um ihre Ziele zu erreichen und wenn jedwede konstruktive Kritik, die unter Freunden erlaubt sein muss, grundsätzlich pauschal als judenfeindlich abgetan wird und Kritiker dämonisiert werden. Den kompletten Gaza-Streifen mit 1,8 Millionen Menschen in Sippenhaft zu nehmen nur weil man den Abschuss einzelner Raketen rächen will, das ist nichts anderes als Auschwitz, nur mit anderen Mitteln.