Kuba zwischen Rum, Revolution und Reformen
Rum und Tabak sind für Kuba mehr als nur die wichtigsten Handelsgüter. An ihnen offenbart sich der im Lande, der in der inneren wie äußeren Politik verankerte ideologische Konflikt zwischen Sozialismus und aufkommendem Neoliberalismus. Kuba verändert sich. Kuba öffnet sich. Kuba entdeckt das große Geld. Drei Gründe die kubanisch-sozialistische Ikonografie meiner Reise in einer Fotoserie festzuhalten und ins Gespräch zu kommen.
Die Drei von der Tankstelle
In Pinar del Rio treffe ich auf Jose, Maria und Benito. Diese Nachbarn könnten charakterlich wie politisch nicht unterschiedlicher sein. Schnell kommen wir ins Gespräch und werde von den Dreien in direkter Nachbarschaft der Guayabita del Pinar-Fabrik zu diversen Runden hochprozentigen Rums verurteilt. Hier in Pinar del Rio lagert die braune Spirituose in großen schweren Eichenfässern und zur dauerhaften Verfeinerung werden vorher Zwergguaven eingelegt. Bei anderen Rumsorten wie z.B. dem weißen Ron Mulata treten Vanille- und apfelartige Fruchtaromen geschmacklich in Erscheinung.
Wir kosten auch das rohe Gebräu, bevor es auf 40% verdünnt in die Flasche wandert. Es STROTZT vor Alkohol und lässt mir Mundinnenraum und Zähne stumpf werden. Reflexartig kontrahiert sich mein Zahnfleisch und es grenzt für mich an den Bereich eines biblischen Wunders, dass dieses Destillat nach Abfüllung und Verdünnung durchaus sehr genießbar ist, in sowohl trockener (secca) als auch süßer Form (dulce). Der Alkohol lockert die Zungen, lässt staatliche Repressionen gegenüber Andersdenkenden ausblenden und irgendwie war auch mein Spanisch besser als sonst ;-)
Rum und Tabak stellen die ökonomisch wichtigsten Exportgüter der Karibikinsel dar. In der Tabakindustrie arbeitende Menschen wie Benito lassen kein gutes Haar an der Regierung und am System. Auf ihren prächtigen familiären Haciendas residierend, empfinden sie das Abdrücken von 90% der Ernte an den Staat in der Regel als Diebstahl. Mit den restlichen 10% machen sie dennoch ein sehr gutes Geschäft…
Wobei man anmerken muss, dass es sind die Bauern sind die festlegen was letztlich überhaupt 100% sind. Gern aber würden sie der Verlockung nachgeben mit der kompletten Ernte so richtig Zaster zu machen. Sie sehen in den USA genau das Schaufenster, das wir Ostdeutschen damals in Westberlin sahen. Die Sehnsucht nach Konsum, Wohlstand und den American Way of Life ist groß auf Kuba. Und per se ist das auch nichts Schlechtes.
Noch sind wenige US-Amerikaner auf Kuba anzutreffen, was sich angesichts der derzeitigen Annäherung sicherlich bald ändern wird. Auf einer Tabakplantage in San Luis treffe ich auf fünf dieser Weltverbesserer. Sie sprechen von und über Kuba als wäre es ihr Eigentum, ihre Kolonie. Verständlicherweise unterstützen die Yankees die Tabakbauern in deren Gejammer und Empfinden, dass Kommunismus Diebstahl sei. Haben sie doch nie etwas Anderes erlebt als Markthörigkeit, maximale Ausbeutung, McDonalds und Monsanto; Dinge, die nach US-Amerikanischer Auffassung für die ganze Welt so „richtig gut“ seien. Orte wie z.B. der Irak wissen ganz genau, was die USA unter „mission accomplished“ und Demokratie verstehen.
„Die Starken unterstützen die Schwachen!“, kontert Maria, die beim Militär arbeitet und natürlich von der Regierung geimpft ist, das Gejammer der Tabakbauern und gönnt sich einen großen Schluck uringelben Rumlikörs mit Ananasaroma. „Irgendwie und irgendwer muss das ja finanzieren!“, womit sie z.B. freie medizinische Versorgung und Bildung meint.
„Fidel und uns ist mit dem Zusammenbruch des sozialistischen Ostblocks der wichtigste Partner weggebrochen. Sicherlich haben wir Fehler gemacht, die sehr harten 1990er Jahre und heutigen Auswirkungen aber sind im Kern das Resultat der US-forcierten Sanktionen und der damit verbundenen internationalen Isolation Kubas.“
Ein historischer Besuch
Der von der Presse als historisch gefeierte Besuch Barack Obamas fällt mit meiner Reise zusammen. Glücklicherweise bin ich nicht in Havanna zu dieser Zeit. Österreicher berichten mir, für einen halben Tag ins Hotel gesperrt gewesen zu sein, die Fenster nicht nur vernagelt sondern verschraubt. Wachposten und Kontrollen überall. „So viel zum Thema freie Welt“, kommentiert Maria, die sich auch darüber mokiert, dass Obama es nicht vermochte das Foltergefängnis Guantanamo zu schließen, sich aber erdreistet Kuba bzgl. politischer Gefangener zu kritisieren.
„Ja, es gibt arme Menschen auf Kuba, wie es sie überall auf der Welt gibt, aber jeder hat Zugang zu sehr guter medizinischer Versorgung, Bildung und auch die Versorgung mit Lebensmitteln läuft nach den schlimmen 1990er Jahren wieder einigermaßen rund. Wenn jemand anderes erzählt, oder aber bettelt, dann wohl nur aus niederen Beweggründen. Bei uns gibt es keine Straßenkinder, was in anderen Ländern Zentralamerikas, die den wirtschaftlichen Verhältnissen der USA näher stehen, grundlegend anders aussieht“, fährt Maria fort und redet sich in Rage, während ihr gewinnendes Lächeln die vor Temperament wackelnde, fürchterliche Föhnfrisur wettmacht. Wie wohl die Zukunft Kubas aussehen wird? Raul Castro, der die Öffnung des Landes vorantreibt, ist ja auch nicht mehr der Jüngste. Beide Kräfte, Liberalisierung als auch Renaissance des Kommunismus stehen in den Startlöchern.
Keinesfalls unwahre Worte Marias. Die USA haben mit ihrer aggressiven Sanktions- und Isolationspolitik gegenüber dem Iran, Irak, Kuba und Russland schon mehrfach unter Beweis gestellt, dass es zum US-Amerikanischen Standardprogramm gehört zunächst zu versuchen, ein Land wirtschaftlich sturmreif zu schießen. Im Fall von Kuba mischten sich die USA oft auch direkt ein, durch verdeckte Operationen wie die unzähligen Mordversuche an Fidel Castro, der grandios gefloppten Invasion in der Schweinebucht oder aber der Unterstützung der ebenfalls gescheiterten Konterrevolution beginnend in den Bergen rund um Trinidad.
Man kann über den Sozialismus denken was man will. Er hat sicherlich falsche Ansätze, Fehler gemacht und ich will ihn nicht zurück, dennoch ist er ein einzigartiges Stück Geschichte; ein Experiment, dessen motivische Spuren ich erjage und dabei auf Taxifahrer zurückgreife. Anders als in Berlin, wo jeder Hinz und Kunz dank Navi ein Taxi (auch mal in die falsche Richtung) lenken darf, kennen die Kubaner ihre Heimat wie aus dem Effeff und zeigen mir die großartigsten Motive sozialistischer Propaganda. Angesichts der Akribie und Paranoia mit der Ostdeutschland davon befreit wurde, stellt sich mir die Frage, ob und wann das auch in Kuba passieren wird.
Es fällt der große Kult um die legendären Revolutionäre Ernesto „Che“ Guevara und Camilo Cienfuegos auf. Fidel hingegen ist deutlich seltener zu sehen; und wenn, dann oft mit politischen Gefährten wie Hugo Chavez oder Nelson Mandela. Besonders aber Che ist omnipräsent: als T-Shirt, als Beutel, als Magnet für den Kühlschrank. In Santa Clara, eine Stadt die er nach zweitätigem Guerillakampf einnahm, steht sein Mausoleum. Der ewige Revolutionär war nicht nur in Kuba aktiv, sondern auch im Kongo, Guatemala und Bolivien, wo er 1967 unter Beteiligung des US-Amerikanischen CIA zunächst gefangen genommen und dann ohne Gerichtsurteil erschossen wurde. Was ihn zum weltweiten Märtyrer machte, man denke nur an die optischen Che-Reminiszenzen der 1968er Studentenbewegung.
Zum Schluss kommt der 56-jährige Jose zur Sprache. Früher war er Ausbilder für Technik und Wartung, heute aber bestreitet er als sehr viel besser bezahlter Taxifahrer seinen Lebensunterhalt. Während regierungsnahe Jobs wie Lehrer, Arzt und Polizist durchschnittlich nur circa 20 CUC (=20 US$) pro Monat einbringen, geht Jose mit dem 10-fachen nach Hause. Er profitiert vom Tourismus und sieht die Lage, sprich die Öffnung Kubas pragmatisch. Ich persönlich finde es fair, dass nach Jahren der internationalen Isolation auch wir Touristen dafür sorgen, dass sich Kuba finanziell erholt.
Alle drei aber begrüßen letztlich die Öffnung gegenüber Besuchern. Beides, Öffnung und Besucher, geben Kuba ein wichtiges neues Standbein. Gemessen an 11 Millionen Kubanern sind die saisonal fast 1 Million Touristen nicht nur ein gefundenes (finanzielles) Fressen sondern auch eine Herausforderung für die Infrastruktur. Die primär abends in Havanna eintreffenden Großraumflugzeuge der Europäer überfordern den kleinen Flughafen aber auch schon mal, und so warten die Gäste der AirEuropa und Air France geschlagene 3-4 Stunden auf ihr Gepäck.
China spielt die erste Geige
Die Chancen und Gefahren einer Annäherung an die USA vor Augen, spielt jemand anderes aber bereits die erste Geige, die Chinesen. Ganz unprätentiös ist das Reich der Mitte bereits eingesickert und längst ein integraler Bestandteil der Karibikinsel, in Form von Waren. So stammen z.B. die Vehikel der nationalen Busgesellschaften Viazul und Infotur/Transtur ausschließlich aus dem Hause Yutong, dem in Zhengzhou ansässigen weltgrößten Hersteller von Bussen. Und auch bei Elektronik und Haushaltswaren haben die Chinesen ganz klar die Nase vorn, ja fast schon uneinholbar.
Der kubanische Konflikt ist nicht nur Sozialismus gegen Kapitalismus, sondern auch jung gegen alt. Gibt man dem zuvor geschilderten politischen Konflikt Kubas Gesichter, dann sind es witziger Weise die der Gebrüder Fidel und Raul Castro. Ersterer ist überzeugter Kommunist, der für sein Volk primär die Gefahren der Verwestlichung sieht. Raul hingegen ist Pragmatiker und hat absolut richtig erkannt, dass Kubas Revolution eine Revolution braucht um in einer sich weiterentwickelnden Welt fortbestehen zu können, auch wenn damit die Gefahr einher geht wieder von Fremden vereinnahmt zu werden.
Egal wann und wo, Geld verdirbt den Charakter, und das wird über kurz oder lang auch Kuba so ergehen. Dennoch wünsche ich der sympathischen Karibikinsel kein Mündel zu werden, weder der Liberalisierung noch der USA. Hoffentlich resultiert die Öffnung in einem Wandel hin zum Guten, hin zu Eigenständigkeit geprägt von Partnerschaften auf Augenhöhe. Rauls Methode involviert eine Symbiose aus sowohl Öffnung als auch starker Rolle des Staates, was ich für den aktuell besten Weg halte.
Aber „gute“ Lebensmittel aus US-Amerikanischer Produktion, Dinge wie flüssiger Cheddar-Käse aus der Tube oder aber mit Mais-Glucose vollgepumpter Mist wie Ketchup und Brotaufstriche stehen bereits getarnt in den Regalen und damit in den Startlöchern Kuba gesundheitlich genauso zu ruinieren, wie z.B. Mexiko oder aber den Südpazifik, wo die „Schutzmacht“ ihren Einfluss ganz klar missbraucht um mit widerlichem Fast Food Kasse auf Kosten der ohnehin zur Fettleibigkeit neigenden Polynesier zu machen.