Mardi Himal – Wanderweg zwischen Himalaya-Bergriesen und Blutegeln
Der Mardi Himal Trek führt Wanderer bis vor die Füße des gigantischen Annapurna Massivs und bis auf nahezu 4.500 Meter Höhe. Dort, wo sich Himmel und Wolken treffen und die Luft buchstäblich dünn wird, stoßen Felsen und Himalaya bis zum Firmament empor und offenbaren einzigartige Bergpanoramen, einen schlichtweg atemberaubenden Sternenhimmel sowie unzählige, den Wanderer traktierende kleine Blutsauger.
Etappenweise auf den Berg
Irgendwie brennt’s an meinem Innenarm. Ich schreibe das zunächst der „Qualität“ des Made in China Plastikponchos zu, welchen ich alle Nase lang überstülpen muss, da unsere Wanderung wieder einmal durch eine logischerweise Niederschlag bringende Wolke führt. Das Brennen will einfach nicht aufhören. Ich gucke endlich nach und finde einen, sich an meinem Blute ergötzenden Egel vor. Doch der Reihe nach.
Wir starten in Pokhara, der Stadt mit dem Massiv und Panorama der Annapurna im Nacken. Zuvor brauchten wir allerdings satte 10 Stunden für 170 Kilometer, auf dem Prithvi Rajmarg, dem Highway zwischen Kathmandu und Pokhara. Bereits nach Abschluss dieser Busfahrt empfängt uns sehr wechselhaftes Wetter, was ein Omen der nächsten Tage auf dem Mardi Himal Trek bedeuten sollte. Die eigentliche Wanderung zum Mardi Himal, dem südlichsten Berg des Annapurna Massivs startet am Ghatte Khola bus stop, am Ende der Straße von Pokhara nach Baglung. Von dort führt die erste Etappe über das Dorf Dhampus nach Pothana.
Der Brite Jimmy Roberts war 1961 der erste, der den Mardi Himal bestieg. Mit 5.588 Höhenmetern ist dieser Berg noch einer der kleineren Himalaya-Riesen, und da sein Felsmassiv Teil des Südwest-Grats des fast 7.000 Meters messenden Machapucharé (Fischschwanz) ist, nimmt man ihn zunächst gar nicht als eigenständigen Berg wahr. Die gesamte Wanderung über sieht man die Gipfel der 7.219 Meter hohen Annapurna South (auch Annapurna Dakshin), des Hiunchuli sowie des unverkennbaren Machapucharé.
Die Wanderung ist derart von Niederschlag geprägt, dass ich die große Kamera lasse wo sie ist und den Wald nur mit dem Handy fotografiere. Derart omnipräsent nass ist es.
Jetzt wird’s blutig…
Doch zunächst machen wir in Pothana Station, zum Übernachten und als Versteck vor dem immer stärker werdenden Regen. Es kübelt teilweise wie aus Eimern… Erstaunlicherweise gibt’s hier oben WiFi, so dass alle Guides gedankenverloren auf ihren Handies rumdaddeln. Es gibt gutes Essen und meinen geliebten Masala Tea.
Am Morgen danach geben die Wolken zum ersten Mal den Blick auf die Gipfel frei. Das Pärchen im Zimmer neben uns ist satte 7 Tage im Regen auf dem Mardi Himal Trek gewandert und sieht heute, dass es außer Wald wirklich noch Berge wie Annapurna South, Fish Tail, Annapurna II und Lamjung Kailas gibt. Es gibt Frühstück, und damit wieder Masala Tea. Wir hauen rein wie die Scheunendrescher, denn das Wandern fordert seine Kalorien.
Auf unserer nächsten Etappe, von Pothana zum Forest Camp kommen dann die Blutegel ins Spiel… Die Biester hängen in der Regel in den Pflanzen und Busch entlang des Weges. Stoppt man, wird man unweigerlich Zeuge, wie sich drumherum alles regt, denn die Mistdinger riechen die Mahlzeit. Wir rennen förmlich zum Forest Camp und jedwedes Pseudo-Zwicken oder -Brennen lässt einem die Fantasie durchgehen. Der Wald ist feucht und damit ideales Terrain für die Schmarotzer. Der Wald bietet aber auch vielen kleinen, teilweise magisch aussehenden Pilzen ein Zuhause.
Der Wald mit seinen bis zu 120 Rhododendron-Arten wirkt verwunschen, wie aus einem Märchen. Man wird jäh in die Realität zurückgeholt vom vielen Müll entlang des Weges; gesäumt von den Snickers- und Kartoffelchips-Verpackungen dieser Welt. Es war für mich eine Herzensangelegenheit diesen Dreck aufzusammeln und ruhigen Gewissens zu entsorgen. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass der Nationalpark Annapurna Sanctuary mit Müll in den Hintern getreten wird, man selbst aber aus Naturschutzgründen keine Drohne starten lassen darf.
Spektakuläre Bergpanoramen
Die Annapurna I mit ihren 8.091 Höhenmetern sieht man wenn überhaupt dann nur von ganz oben, vom Mardi Himal Basecamp. Aber ganz egal ob acht-, sieben- oder „nur“ sechstausend Meter hoch: es ist unglaublich beeindruckend vor einer Felswand zu stehen, die durch die Wolken ragt und sich vom eigenen Standpunkt aus noch einmal mehrere Kilometer nach oben auftürmt. Und es ist auch erstaunlich, wie weit die Vegetation sich vorwagt, denn de facto endet der Wald erst auf circa 3.000 Höhenmetern.
Der Mardi Himal Trek ist einfach, aber auch nicht ungefährlich. Damit sind nicht die tausende von Blutegeln gemeint, sondern das Verschwinden von Wanderern. Im Forest Camp werden wir zum ersten Mal damit konfrontiert, als eine Gruppe Nepalis die Suche nach der Ehefrau eines der Gruppenmitglieder aufgibt. Und auch im Low Camp hängen Fotos einer verschollenen Niederländerin. Ihr Foto und den damit verbundenen Aufruf finden wir mehrere Male entlang des Weges.
Im High Camp angekommen können wir die ersten schönen Bergfotos machen. Doch die erste Nacht hat es in sich. Der Atem flacht beim Schlafen ab, man bekommt nicht genug Sauerstoff und ringt jede Minute um Luft. An Erholung ist dabei nicht zu denken. Das muss vielen Touristen so gehen, denn die Zahl jener, die mit Kopfschmerzen, schlechter Laune und Schwindel vom Berg kommen, ist nicht gerade niedrig. Da der Berg mittlerweile eh ein Raub der Wolken ist entscheiden wir uns für die Akklimatisation und steigen nicht weiter hoch. In der darauffolgenden Nacht können wir wunderschöne Aufnahmen der Berge samt Sternen und Milchstraße machen.
Dünne Luft
Hier oben im High Camp wird es kälter. Der Wind und die Feuchtigkeit der Wolken tun ihr Übriges. Auch die Vegetation scheint davon die Nase voll zu haben. Kampieren tut man in spartanischen Räumen auf spartanischen Liegen und wir freuen uns wie Kullerkekse die eigenen, warmen, sauberen Schlafsäcke dabei zu haben. Wir verbringen 3 Tage hier oben. Jeden Morgen genießen wir die Ankunft gefiederter Freunde, die die wärmende Sonne genauso willkommen heißen wie wir.
Hier oben Sonnenaufgänge zu sehen und zu fotografieren ist kein Ding. Im Gegenlicht und auch im Schein der Dämmerung wirken die Bergriesen dann eher kalt, schwarz und schroff. Viel interessanter wären Sonnenuntergänge, deren Licht von der Wolkenwand aber nicht durchgelassen wird. Spätestens um 8 Uhr ist der morgendliche Bergzauber vorbei, wenn die Wolken reindrücken und man teilweise keine 50 Meter weit sieht. Dann wird es feucht, kalt und windig.
Nach 3 Tagen kriegen wir Hummeln im Hintern und wollen runter. Bei mir verursachte der geringe Luftdruck sogar Zahnschmerzen, die, wieder unten im Tal angekommen, wie weggeblasen waren. Der steile Weg abwärts vom High Camp ins Dorf Siding war eine kleine Tortur. Nicht der Blutegel sondern der über 2.000 Höhenmeter wegen, die wir an nur einem Tag absolvierten.
In Siding kommen wir nicht im dreckigen, schlimmeligen Trekkers Home Nepal sondern im Homestay nebenan unter. Das Leben mit und in der Natur hier ist einfach wunderbar. Auf der Rücktour erwischt es mich dann doch. Ein Blutegel kann sich an meiner Wade, gänzlich unbemerkt, komplett vollsaugen. Damit hat er die nächsten 2 Jahre lang keinen Hunger mehr. Die Biester können bis zu 30 Jahre alt werden. Hinterlassen hat er auf jeden Fall eine massakerähnliche Sauerei, seines Blutgerinnungsgegenmittels wegen. Doch das merke ich erst wieder in Pokhara, zurück in der Zivilisation.