75 Jahre – 75 Ehrenmale – Etappe 5: Die sowjetischen Ehrenmale im Oderbruch
Etappe 5 des Fotoprojekts „75 Jahre – 75 Ehrenmale“ führt zu den wichtigen sowjetischen Ehrenmalen im Oderbruch, wo die Rote Armee Anfang 1945 den Grenzfluss überquerte. Von Küstrin-Kietz geht es auf ~90 Kilometern über den Oderdeich nach Kienitz, Groß Neuendorf und Letschin sowie Manschnow, Reitwein, Lebus und Booßen, um in Frankfurt (Oder) zu enden.
Hier findest Du die 1. Etappe – 2. Etappe – 3. Etappe – 4. Etappe – 5. Etappe – 6. Etappe – 7. Etappe dieses Fotoprojekts
Soldaten-Statuen und Ehrenwache im Oderbruch
Diese Tour muss früh starten, denn zum einen gilt es über 10 Ehrenmale zu besuchen, aber auch fast 100 Kilometer zurückzulegen. Außerdem ist Feiertag und halb Berlin wird der städtischen Umgebung entfliehen wollen. Also stehe ich um 6 Uhr auf, um die über einstündige Reise gen Küstrin-Kietz anzutreten. Gleis 7 auf Ostkreuz ist schwieriger zu finden, als manch vegetationserobertes sowjetisches Ehrenmal… Gleis 7 bedient die Fahrtrichtung nach Osten stadtauswärts und verläuft nördlich parallel zur Stadtbahn der Linien S3, S5, etc. Die 14 Stationen über Strausberg und Seelow gen Küstrin-Kietz sind Aufgabe der Kollegen der Niederbarnimer Eisenbahn.
Die fünfte Etappe meines Fotoprojekts ist eigentlich die wichtigste, denn sie widmet sich den Ehrenmalen im Oderbruch. Hier, im Oderbruch, überschritt die Rote Armee am 31. Januar bzw. 1. Februar erstmals die zugefrorene Oder und bildete nördlich, südlich und bei Kienitz drei Brückenköpfe aus. Selbstredend, dass die hiesigen Kämpfe viele Opfer forderten; und so liegen in Lebus mehr als 4.900, in Reitwein 3.000, in Manschnow 1.200 und selbst im kleinen, nur 372 Einwohner messenden Groß Neuendorf, 1.400 gefallene Rotarmisten beerdigt.
In Küstrin-Kietz angekommen, führt mein Weg erst einmal zum ortansässigen sowjetischen Ehrenmal in der Karl-Marx-Straße. Dort steht ein Rotarmist aus rötlichem Granit mit Waffe in der Hand Totenwache. Diese Form des Ehrenmals treffe ich auf meiner fünften Etappe häufiger an, so z.B. in Manschnow und auch in Frankfurt (Oder). Auf dem Weg zum Oder-Radweg sehe ich ein Schild Kriegsgräberstätte und folge diesem, vielleicht gibt es ja etwas Interessantes zu sehen. Pustekuchen. Außer einer Unkraut jätenden Oma, deren Blicke für den fremden Radler ähnlich tödlich sind wie ihre Finger für das Unkraut, gab es nichts zu entdecken.
Himmlisches Fahrradvergnügen auf dem Oder-Deich
Ich fliege förmlich über den Oder-Deich, DEM Radweg durch das Oderbruch. WAS für ein geiles Fahrradfahren… Mein grobstolliger Downhillreifen schiebt wie eine Dampflok und lässt mich auf der 20 Kilometer messenden ersten Zwischenetappe zur Brückenkopf-Metallstele bei Kienitz eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 29 km/h aufbauen. Auf dem Weg dorthin wird mir dann auch klar, was ein Berliner Bauarbeiter und ein Storch gemeinsam haben. Beide brauchen morgens um 9 Uhr ihre „Bockwurst“. Metaphorisch natürlich, und für die Störche ohne Bier, und optionalen Kurzen. Und so fliegen vor mir ~20 Störche auf die Oderwiesen ein um zu frühstücken. Was für ein absolut wunderschöner Anblick!
An der Metallstele des Brückenkopfs angekommen, habe ich die Fotos schnell im Sack und es geht weiter nach Kienitz. Zuvor sprenge ich – als Linksabbieger – eine mir entgegenkommende, Wehrmacht-Behelmte und Deutschlandfahnen schwenkende Abfolge Schwalbe-, Barkas- und Trabi-Fahrender. Im Dorfzentrum steht deren Gegenstück. Ein exzellent gepflegter T-34; jener Panzer, der die Nazis das Fürchten lehrte. Mit 80.000 dieses Typs produzierten Stück, ist der T-34 der meistgebaute Panzer der Welt.
Wie bescheuert – ok, es sind Nazis – muss man sein, einen Sprit schluckenden Panzer auf Benzinbasis (gemeint sind die „berühmten“ Panther und Tiger) zu entwickeln??? Der russische T-34 war deutlich wendiger, einfacher herzustellen und brauchte lediglich Diesel. Ein Dieselmotor war im Winter schneller in Gang zu setzen. Diesel an sich war schneller, preiswerter und technisch anspruchsloser herzustellen als Benzin. Doch genug gepanzert… Einer der berühmten Oderbruch-Störche fliegt ein. Er nistet direkt hinter dem Kienitzer T-34. Er fährt sein Fahrgestell aus, kommt aber nicht allzu schnell rein… Mist! Das bedeutet Gegenwind :-(
Die Gräber des sowjetischen Brückenkopfes
Der Storch macht im Nest die Grätsche und ich den Abflug, nach Groß Neuendorf. Das dortige sowjetische Ehrenmal ist, nun ja, recht funktional. Der goldene statt rote Sowjetstern deutet auf einen hier beerdigten Held der Sowjetunion hin. Wer das letztlich ist, tja, keene Ahnung, leider. Wichtig ist nur, dass der Todestag vieler hier Gebetteter 1. Februar 1945 lautet, dem Tag des ersten Überschreitens der Oder. Muddi nebenan fühlt sich ob meines fotografischen Vorgehens beim Nacktsonnen gestört. Ich hingegen, und das ist auch gut so, interessiere mich definitiv nur für Grabsteine… Also nehme ich die Gegenwind-schwangere fahrrad’sche Herausforderung gen Letschin an.
Auf dem Weg nach Letschin beschließe ich, dass der verdammte Gegenwind und ich heute Abend definitiv nicht zusammen in den Sonnenuntergang reiten werden. Seine Böen lassen gute 20% meiner Leistung verpuffen. Zum Glück ist Letschin nur 8 Kilometer entfernt. Das sowjetische Ehrenmal in Letschin ist auf dem südlichen alten Dorfanger zu finden. Während ich fotografiere, fällt mir der rege Straßenverkehr auf. Der ist (an diesem Feiertag!) heftiger als bei mir in Berlin vor der Haustür. Feuerschalen säumen den Weg entlang der Grabtafeln des Letschiner Ehrenmals und nahezu überall stehen die letzten Tage des Zweiten Weltkrieges als Todestag verzeichnet.
Die Tour geht weiter nach Manschnow, doch zuvor sind die Oderbruch-Metropolen Zechin, Golzow und Gorgast zu durchqueren. Nach über 50 Kilometern im Sattel verlangt mein Hintern eine Pause. Zum Glück bietet der Typ neben Gabi’s Friseur – ja, der einzigartige Friseur mit Apostroph im Namen – ein frisch gezapftes, kühles Blondes an. Der vor mir zur vatertäglichen Stärkung eingerittene, männlich-lokale Doppelkorn-Vernichtungstrupp, zeichnet sich nicht gerade durch Freundlichkeit aus. Daher starte ich umgehend die Weiterreise ins unweite Manschnow, wo der Jugendclub geschlossen aber die Herzen geöffnet sind.
Zwei Drittel der Oderbruch-Tour sind im Sack
Das hiesige Mahnmal besteht genau wie in Küstrin-Kietz und Frankfurt (Oder) aus einem Rotarmisten mit Waffe, der entschlossen blickend Grabwache steht. Sehr pittoresk! Interessant finde ich vor allem den kleinen schwarzen Gedenkstein einer sowjetischen Garnison, der, anders als die Grabsteine, das 650-jährige Bestehens Manschnows feiert. Waren hier in der Nähe etwa genauso viele Soldaten stationiert wie zum Beispiel in Vogelsang? Auch in der nahen Hauswand steckt eine Besonderheit, sprich eine eigens an Sergeant Titow aus Sotschi erinnernde Gedenktafel. Die Hintergründe bleiben leider unbekannt.
Beim Abreiten gen Reitwein gucken mir die örtlichen Kids hinterher. Vielleicht ob des geschlossenen Jugendclubs, oder aber als ob sie wüssten, dass es mich nach Reitwein zieht. Reit und Wein mag im ersten Moment an Mister Ed und den Anbau von Riesling erinnern. In der Tat ist hier ein für das flache Oderbruch untypischer Berg zu finden, der Reitweiner Sporn. Angebaut werden dort aber nur Brennnesseln statt Chianti, wissen meine Waden zu berichten. Bevor es auf den Reitweiner Sporn geht, offenbart sich zu dessen Füßen zunächst das sowjetische Ehrenmal. Und es ist groß… Die Reitweiner Anlage strotzt nur so vor Grabtafeln. 3.000 Gefallene sind hier zur Ruhe gebettet. Vier von ihnen sind Helden der Sowjetunion und finden auf dem eigentlichen Ehrenmal namentlich wie optisch Erwähnung.
Das Radeln hoch zum Sporn ist, wie gesagt, eine brennnesselige Sache. Doch der Weg lohnt sich, denn von hier oben beobachte Georgi Konstantinowitsch Schukow, eben jener mit Orden behangene Marschall der Sowjetunion und späterer Verteidigungsminister, die Schlacht im Oderbruch, bzw. die Schlacht um die Seelower Höhen. Der Sieg war sein, aber er forderte auch den höchsten Blutzoll. Auch davon erzählen die Ehrenmale im Oderbruch. Damals war es hier noch nicht so stark bewaldet. Der Schukowsche Ausblick aufs Oderbruch ist heutzutage also nur noch in den laublosen Wintermonaten zu sehen.
Das Ehrenmal in Lebus hat eine Sonderrolle
Meine Oderbruch-Reise geht weiter nach Lebus. Die Landstraßen weichen wieder dem wunderschönen Radweg auf dem Deich der Oder. Jetzt sind natürlich mehr Menschen unterwegs als heute Morgen, dennoch ist die Tour wieder ein Hochgenuss. Selbst der sch*** Gegenwind macht mir hier oben nichts aus. Leider ist das Anglerheim in Lebus nicht offen, aber zum Glück bietet der Oderblick ne Wurscht und auch ein Bier an. Ich mache eine längere Pause, denn ich liege a) verdammt gut in der Zeit und b) sind die restlichen ~20 Kilometer jetzt auch kein sonderliches Problem mehr.
Neben Bier und Bratwurst ist Lebus auch aus Sicht der sowjetischen Ehrenmale nicht unwichtig. Denn hier finden all jene Soldaten ihre letzte Ruhe, die auch heute noch international aufgefunden werden. Mit 40 bis 50 Funden pro Jahr allein im Land Brandenburg ist das alles andere als wenig. Genau wie Reitwein ist auch die Anlage in Lebus groß. Abgerundet wird sie, im wahrsten Sinne des Wortes, durch den Obelisken und die Kolonnaden am östlichen Ende. Besonders hervor sticht das Artilleriegeschütz, welches auf halber Höhe der Kriegsgräberstätte steht. Wie bestellt fliegt ein Gartenrotschwänzchen ein und lässt sich auf dem mit Blumen geschmückten nieder Mündungsfeuerdämpfer, als ob eine höhere Macht den Friedensaspekt meiner Fotoserie versucht zu untermauern.
Meine Ehrenmaltour durch das Oderbruch geht weiter nach Booßen, einem nördlichen Ortsteil von Frankfurt. Die Fahrt führt über einen typisch brandenburgischen Sandweg. Juhu… Irgendwann spuckt mich dieser Weg dann auf einer Landstraße bei Booßen aus, von wo das dortige Ehrenmal nicht mehr weit ist. Genauer gesagt liegt es von Bäumen umgeben direkt an der B5, welche wiederum nach Frankfurt (Oder) führt. Die Anlage ist bis auf die Säulen noch in originalem Zustand und Gefallenen gewidmet, die kurz vor Kriegsende hier in der Umgebung den Tod fanden.
Auf nach Hause, mit dem RE1
Und dann ist auch das Ende dieser mehr als 90 Kilometer langen Etappe in Sicht, sprich Frankfurt (Oder), dessen sowjetisches Ehrenmal sich auf dem Anger in der Gubener Vorstadt befindet. Der groß angelegte Platz beherbergt in der Mitte das Monument, auf dem ein Rotarmist Totenwache steht. Er blickt gen Westen. Die im zu Füßen liegenden Grabtafeln der über 1.400 hier Gebetteten befinden sich hingegen im Norden, wo die Silhouette der Stadt durch Gertraudenkirche und Oderturm geprägt ist. Und dann ist es auch schon an der Zeit mit dem Regio wieder nach Hause zu fahren.
Hier gibt es die Route und Daten dieser Tour auf Komoot